König der Dunkelheit: Roman (German Edition)
mich auf Hunger konzentrierte, zuckte das Tier in meinen Händen – der Tod scheint eine Ratte nicht daran zu hindern, an ihre nächste Mahlzeit zu denken. Es dauerte nicht lange, bis sich der kleine Nager so bewegte, wie ich wollte, und daraufhin schob ich ihn durch den Tellerschlitz.
Im Licht der Laterne, die der Wärter mitgebracht und zum Glück an einen Haken gehängt hatte, bevor er zur Tür gekommen war, schickte ich die Ratte auf die Suche.
Ich saß in dem kleinen Klecks des Rattenhirns und forderte das Tier auf, an der Schnur zu knabbern, die den Schlüsselring des Wärters an seinem Gürtel hielt. Als sich der Ring gelöst hatte, ließ ich ihn mir von der Ratte bringen. Eine wirklich sichere Zelle kann nicht von innen geöffnet werden, aber alle Systeme haben ihre schwachen Stellen. Ich schickte die Ratte
in den Tod zurück und trat in den Flur, ein freier Mann nach langen Stunden der Gefangenschaft!
In meiner Magengrube krampfte sich etwas zusammen, aber es fühlte sich nicht so an, als müsste ich sterben. Mir war ein bisschen schwindelig, und etwas Unreines schien an mir zu haften, doch solche Empfindungen können auf Nekromantie zurückgeführt werden. Wenn mich jemand vergiftet hatte, so war er dabei nicht gründlich genug gewesen.
Ich knebelte den Wärter mit einigen Stoffstreifen und sperrte ihn in meiner Zelle ein. Ein Blick in die anderen Zellen entlang des Flurs teilte mir mit, dass mein Großvater offenbar nicht zu den Burgherren zählte, die gern irgendwelche Leute in ihre Verliese steckten. Was bedeutete, dass er entweder viele Hinrichtungen durchführen ließ oder mit leichter Hand regierte.
Langsame Schritte brachten mich zum Schreibtisch des Wärters, wo eine Öffnung in der Decke Mondschein hereinließ. Es war spät, aber vielleicht noch nicht Mitternacht. Ich hatte Zeit genug gehabt, mir einige Dinge durch den Kopf gehen zu lassen. Wenn ich meine Feinde vergiften wollte, würde ich meine Bemühungen nicht an dreißig Wächter vergeuden. Ich würde versuchen, den Thron zu leeren und alles in Chaos zu stürzen. Aber jede Art des Vergiftens ist schwer. Burgküchen werden streng bewacht, und Köche genießen ebenso viel Vertrauen wie die Männer, die die königliche oder fürstliche Kehle rasieren. Frische Lebensmittel wie Kartoffeln, Karotten und so weiter sind kaum zu verderben. Getrocknetes wird inkognito gekauft und von Wachen begleitet zu besonders geschützten Speisekammern gebracht.
Ich verließ den Kerker der Burg, noch immer in die Uniform eines Hauswächters gekleidet. Der einzelne Wächter am
Ausgang war hilfsbereit genug, sich von mir den Kopf gegen die Wand stoßen zu lassen. Leider ist ein verbranntes Gesicht schwer zu verbergen. Man kann die unversehrte Hälfte nicht der ganzen Welt zeigen. Ich fand ein Fenster und kletterte aufs Dach.
Dort saß ich mit dem Rücken am größten Schornstein, die Beine auf den Dachpfannen des großen Saals ausgestreckt, und überlegte.
Die Schnecken – Entschuldigung, die Schlangen – kamen nicht infrage, denn von ihnen hatte ich keinen Bissen genommen. Also der Reis. Aber wie vergiftet man Reis? Das kochende Wasser und später das Abtropfen müssten ihn doch vom Gift befreien, oder? Also der Safran. Aber der wurde von den Schiffen gekauft, die mit entsprechenden Vorräten den Hafen erreichten. Wie oft ging einer Burg ein Gewürz aus, das pro Unze mehr kostete als Gold? Und welche anderen Haushalte, abgesehen von den Hundert, konnten sich einen solchen Luxus überhaupt leisten? Man nehme all diese Fakten zusammen … Wie sah dann die Wahrscheinlichkeit aus? Allein der Gedanke an die vielen notwendigen Berechnungen bereitete mir Schwindel.
Qalasadi!
Ich rutschte die Dachschräge hinunter und hoffte, dass sich keine Pfannen lösten. Nach kurzer Zeit erreichte ich die breite steinerne Regenrinne, spähte vorsichtig darüber hinweg und suchte nach einer Stelle, wo sie gut abgestützt war. Es gehörte nicht unbedingt zu meinen Ambitionen, meine Herrschaft als König nach einem fünfundzwanzig Meter tiefen Sturz mit einem blutigen Platschen zu beenden. Ich hörte Stimmen aus mehreren Räumen, das Seufzen des Meeres, die tief unten an die Klippe schlagenden Wellen und das unentwegte Summen
und Zirpen von Insekten, die der ganzen Pferdeküste die Nachtruhe stehlen.
Burg Morrow liegt den größten Teil des Jahres im Schein der südlichen Sonne. Die Winter können schlimm sein, sind aber nur selten kalt. In dieser Gegend könnte es durchaus
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