Koenig der Murgos
einfach gekleidete Arbeiter hasteten durch die ärmeren Stadtviertel, mit gesenkten Köpfen und den Händen tief in ihrer Kleidung vergraben.
Garion und sein Großvater überquerten den verlassenen Marktplatz und gelangten alsbald zu einem großen Gebäu-dekomplex innerhalb einer Marmormauer. Durch das Tor mit dem kaiserlichen Wappen kamen sie in einen parkähnlichen Garten, der so ordentlich gepflegt war wie der des Kaiserpalasts und durch den breite Marmorwege führten. Während sie einem dieser Wege folgten, begegneten sie einem beleibten, schwarzgewandeten Gelehrten, der mit hinter dem Rücken verschränkten Händen gedankenversunken dahinwandelte.
»Entschuldigt«, wandte sich Belgarath an ihn. »Könntet Ihr uns den Weg zur Bibliothek weisen.«
»Was?« Der Mann blickte blinzelnd auf.
»Die Bibliothek, guter Herr«, wiederholte Belgarath. »Wo ist sie?«
»Oh«, brummte der Gelehrte. »Dort drüben irgendwo.« Er deutete vage.
»Könntet Ihr ihn uns nicht etwas genauer weisen?«
Der Gelehrte bedachte den schäbig gekleideten alten Mann mit einem verärgerten Blick. »Fragt einen Türhüter«, entgegnete er barsch. »Ich bin beschäftigt. Ich arbeite bereits seit zwanzig Jahren an einem Problem und bin der Lösung nun nahe.«
»Oh? Um welches Problem handelt es sich?«
»Ich bezweifle, daß es einen ungebildeten Bettler interessiert«, entgegnete der Gelehrte von oben herab. »Aber wenn Ihr es wirklich wissen wollt: Ich versuche, das genaue Gewicht der Welt zu berechnen.«
»Ist das alles? Und dazu braucht Ihr zwanzig Jahre?« sagte Belgarath erstaunt. »Dieses Problem habe ich schon vor langem gelöst – und innerhalb einer Woche!«
Der Gelehrte starrte ihn an, und wurde totenblaß. »Das ist unmöglich!« rief er. »Ich bin der einzige auf der Welt, der sich damit befaßt! Noch nie zuvor hat jemand diese Frage gestellt!«
Belgarath lachte. »Tut mir leid, gelernter Herr, aber sie wurde bereits mehrmals gestellt. Die beste Lösung, die ich je sah, war die von einem Mann namens Talgin – in der Universität von Melcena, glaube ich. Es war während des zweiten Jahrtausends. In der hiesigen Bibliothek müßte es eine Abschrift seiner Berechnung geben.«
Der Gelehrte fing heftig zu zittern an, und seine Augen quollen hervor. Wortlos drehte er sich auf dem Absatz, und rannte mit flatternden Röcken über den Rasen.
»Behalt ihn im Auge, Garion«, sagte Belgarath ruhig. »Das Gebäude, auf das er zuläuft, dürfte die Bibliothek sein.«
»Und wieviel wiegt die Welt?« fragte Garion neugierig.
»Woher sollte ich das wissen?« antwortete Belgarath. »Kein vernünftiger Mensch würde sich dafür interessieren.«
»Und was ist mit diesem Talgin, den du erwähnt hast – der die Lösung niederschrieb?«
»Talgin? Oh, es gibt ihn gar nicht. Ich habe ihn erfunden.«
Garion starrte ihn an. »Es ist gemein, so etwas zu tun, Groß-
vater!« sagte er anklagend. »Du hast gerade mit einer Lüge das Lebenswerk eines Mannes vernichtet.«
»Aber ich habe ihn auch dazu gebracht, daß er uns den Weg zur Bibliothek zeigt«, sagte der alte Mann schlau. »Außerdem wendet er seine Aufmerksamkeit ab jetzt vielleicht etwas Nützlicherem zu. Die Bibliothek ist in dem Gebäude mit dem Turm. Dort ist er gerade die Stufen hochgerannt. Folgen wir ihm?«
In der Mitte der runden Eingangshalle der Bibliothek stand ein hoher, kunstvoll geschnitzter Schreibtisch. Dahinter saß ein kahlköpfiger, hagerer Mann, der sorgfältig etwas aus einem großen Buch abschrieb.
Garion war, als hätte er ihn schon einmal gesehen, und er überlegte stirnrunzelnd, wo, während er sich ihm näherte.
Der hagere Mann blickte auf, als Belgarath vor seinem Schreibtisch stehenblieb. »Kann ich Euch behilflich sein?« fragte er.
»Möglich. Ich suche eine Abschrift der Prophezeiungen der Westlichen Grolims.«
Der Hagere krauste die Stirn und kratzte sich am Ohr. »Sie müßte in der Abteilung für vergleichende Theologie sein«, murmelte er überlegend. »Wißt Ihr in etwa, wann sie geschrieben wurde?«
Nun runzelte auch Belgarath nachdenklich die Stirn und blickte zur Kuppeldecke hoch. »Ich würde sagen, im frühen dritten Jahrtausend«, antwortete er schließlich.
»Das wäre entweder zur Zeit der zweiten Honethdynastie oder der zweiten Vorduedynastie. Dann dürfte es keine Schwierigkeiten geben, sie zu finden.« Er erhob sich. »Sie ist dort.« Er deutete auf einen der Korridore, der speichenförmig von der Halle nach außen führte.
Weitere Kostenlose Bücher