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König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

Titel: König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Winkler
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der Lippe, an der Schulter und weiß ich noch wo gezeichnet bin für immer. – Lina, du solltest Priester werden! – Nein, ich werde von Beruf ein nachdenklicher Mensch, der in seinem Zimmer mit denen spricht und an die schreibt, die hier waren und nicht mehr wiederkommen. – Und dafür bedarf es der Aufnahme am Institut für Gedankenkunde und Verstehen ? Ergibt das Sinn und Zusammenhang? – O ja, jaja, und nur darum verlaufe ich mich jetzt hier in diesem Park und erinnere mich daran, dass ich die Menschen immer so gern mochte und hie und da auch einfach von einem von ihnen regelrecht angerufen wurde. Sicher sind auch Flora, Justin, Professor Stein und Professor Icks Menschen, aber zugleich sind sie Könige oder zukünftige, mehr oder weniger beamtete Vermittler desselben, Moderatoren sozusagen, und also sind sie nicht ganz so ein Mensch wie der alte Mann, der da allein auf der Parkbank sitzt, als ob solches Sitzen sein Schicksal in der Welt wäre. Es tropft ihm immerzu Wasser von der Nasenspitze, ein kleines Rinnsal kommt die Wange herab gelaufen, und jetzt kramt er in seiner Manteltasche wahrscheinlich nach einem Taschentuch, aber findet keins. Und ich mag so gern hingehen und ihm eines von meinen geben, aber da springt mir Professor Icks vor die Füße, ins Bild, schwenkt sein Taschentuch durch die Luft, tritt damit näher zu mir und bindet einen Knopf hinein: »Lina Lorbeer, Sie werden mich doch erinnern, nicht wahr? Sie werden mich an alles erinnern?« Und ich senke den Kopf und schüttle ihn und möchte Aber wenn ich dann nicht mehr kannfragen.Was dann? Und Professor Icks sieht mich an und ein Schauer läuft durch seine Arme und zwingt sie fast, sich zu öffnen. Aber er wagt es nicht mehr. Weil es mich ja in Wahrheit gar nicht gibt? Weil ich schon ein ganz anderer bin? Doch nichts weiter als eine Figur, eine der vielen Figuren, denen man im Hörsaal das Herz und die Lungen heraus nimmt und unter die Lupe legt, während die andern Teile, der ganze Rest, so gesondert und unverbunden verkümmern muss? Aber Schluss jetzt. Nein. Man läuft doch nicht auf die Straße und in den Park, um sich in derart traurigen Begegnungen zu verlieren. Der alte Mann wird sich gleich nach dem kleinen liegen gebliebenen Ball vor seinen Füßen bücken und ihn mir zuwerfen und Rat für alle künftigen Wege ins wirkliche Leben wissen. Stimmt’s? Ja, wirklich, er wiederholt, was ich schon einmal einen alten Weisen sagen hören habe: »Geben Sie alles aus der Hand.« Ich lasse den Ball zu Boden fallen, und er rollt aus dem Park hinaus und den Hügel hinunter und über die Straße, unter Autos und Straßenbahnen hindurch, und rollt weiter durchs Gras, auf dem schon verfärbte Blätter liegen, und weiter über einen Zebrastreifen, und hinweg über den Rand eines Gehsteigs, und weiter um die Ecke, vorbei an großen, ebenerdigen Schaufenstern, und dann durchs Tor eines offenen Gastgartens, wo Menschen an einer langen Tafel ein Glas auf das Leben erheben, allen voran, auf der Stirnseite, Frau Professor Stein. Ja, das ist wirklich Frau Professor Stein! Ich bleibe am Tor stehen. Der Ball liegt unterm Tisch, womöglich vor Professor Steins Füßen. Sie steht auf (ich weiche zur Seite und verstecke mich hinterm lebenden Zaun, der eine kleine Lücke hat) und klopft sacht auf das Glas in ihren Händen. Die Lippen aufeinander gelegt, das Kinn leicht nach vor gestreckt und die Schultern hoch gezogen, schaut sie in die Tafelrunde und streift so manche hier am Tisch mit ihren Augen. Hälse knicken, und Blicke eilen in großer Unruhe von den Blumen (es sind hier überall Tulpen aufgestellt) zu Gabel und Messer und Löffel und zurück. »Sie wissen, Redenhalten ist meine Sache nicht, aber der freudige Anlass, dessentwegen wir hier in fröhlicher Gemeinschaft zusammen sitzen, zwingt mich dazu. Mir bleibt nichts anderes übrig, als das Glas auf Ihre Prüfungen zu erheben. Wieder hat Ihr Leben einen Sprung gemacht, wieder haben Sie einen Abschnitt zu Ende gebracht, und einige von Ihnen dürfen in ihre Biografien »mit Auszeichnung bestanden« schreiben. Ist das nicht wunderbar? Bedeutet es nicht eine große, ungetrübte Freude, derart ausgezeichnet ins Leben überzutreten, ins neue Büro, auf dessen Schreibtisch Sie schon eine Topfpflanze erwartet, die täglich frisches Wasser braucht? Kann sein, dass Sie, nach den Jahren bei uns am Institut, eine Weile nur mit Gießen beschäftigt sind, aber Sie werden sehen, Tüchtigkeit wird immer noch belohnt in der

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