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König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

Titel: König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Winkler
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anmutet! Gerade heraus gesagt, ich wusste nicht, dass solche Unscheinbarkeit hier in unserem Institut noch existiert. Sie scheinen mir eine sonderbare Person zu sein, sehr sympathisch, unbedingt jemand, den man im Auge behalten muss. Welche Aufsätze Sie auch immer abzugeben haben, schreiben Sie, was Sie zu schreiben haben und fürchten Sie nicht, tiefer, noch tiefer in die innern Gemächer zu gehen, hin zu den Fragen, auf die es keine Antworten gibt, zu den Sätzen, deren Sinn abhanden gekommen und versperrt ist. Ja, fahren Sie Schlittschuh und hören Sie das Eis in der Dunkelheit unter Ihren Kufen knirschen. Als ob’s brechen wollte, zieht’s eine Linie in die glatte, glatte Fläche. Lassen Sie sich von niemandem davon überzeugen, dass solche Fragen und Sätze nichts als schmucke Redekunst seien, denn selbst in ihrer goldensten Ausprägung findet sich ein kleiner, überschüssiger Rest, und den, nichts als den, gilt es zu verfolgen. Stellen Sie sich vor (Herr Professor Icks steht auf, ich glaube, er spricht gar nicht mehr mit mir, er spricht mit jemand anders, der weit, weit weg ist), spätabends leuchten aus den Hochhäusern an den Ufern des gefrorenen Stroms am Rand der Stadt hier und da ein paar Lichter und bewirken, dass Sie sich noch weiter hinaus wagen, über das zarte Krachen unter Ihnen und all das, was da im Wasser erstarrt ist, hinweg. Wenig ist es nicht, wir beide wissen das. Will Sie das nicht erinnern? An den kleinen, hellen Fleck an der Wand, in dem der Gedanke auftauchte, der plötzlich einen Willen hatte, Macht, ja einen Körper, einen überwältigenden Körper. War’s ein Schattenspiel? Und da erkennen Sie, dass ins Eis, in den Hauch Schnee am Eis, den niemand geräumt hatte, ein Satz oder nur ein Wörtchen geschrieben ist, aber gar nichts und noch einmal nichts will Ihnen das sagen und bedeuten, so aus allem heraus gefallen, so unnütz und abgetrennt scheint es, das kleine Wort. Aber darauf, ja, das hat mir das Wenige, was ich in Ihrem Aufsatz lesen konnte, mitgeteilt, darauf kommt’s an. Es öffnet das Schloss ins innere Gemach.« Spricht Herr Professor Icks im Fieber? Ist ihm nicht wohl? Mir wird bange zumute, aber nicht nur das. Noch ein Sturzbach ganz anderer Gefühle trägt mich fort, und ich werde mich hüten, ein Wort dafür zu finden. Vielleicht irgendwann, wenn Justin im Hörsaal wieder einen Stein auf den Tisch legt, an die Stelle der Bücher, und ich aus ihm Gras hervorbrechen sehe, hohes Gras, zum Darinliegen.
    Lina, ist dir nicht gut, schwindelt dich? Du bist so blass. Justin rüttelt mich an der Schulter, nein, das ist zuviel gesagt, er streift mich nur am Oberarm. Die Korridore hier verengen sich zuweilen so drastisch, dass man, wenn man an einem andern vorbei geht, ihm viel näher kommen muss als einem lieb ist. Wohin Justin wohl unterwegs ist, so leichtfüßig und beschwingt, als ob das alles hier der reinste Jahrmarkt wäre? Ein verbotener Jahrmarkt im heiligen Tempel, und Justin wird irgendwann, in vielen Jahrzehnten, im großen Zorn darüber, hier Professor geworden zu sein, Jesus spielen und die Markthalle da unten von den vielen Ständen reinigen, auf denen Reisen verkauft werden, Reisen ins Glück. Was immer ihm in die Hand kommt, wird der rechte Gegenstand sein, um das hier Feilgebotene zu zertrümmern. Um sich schlagen muss er jetzt, denn die Reise ins Glück, die Professur am Institut für Gedankenkunde und Verstehen war ein einziger Irrtum. Ja, mich schwindelt, und wäre schon Markt, ich kaufte mir einen Passagierschein. Ich habe hier so viele Scheine gesammelt, gebt mir den letzten! Aber der Tag der großen Prüfung steht noch dahin, und im Augenblick weiß ich nicht einmal, ob ich mir mit der Beantwortung der Frage, »was wäre, wenn es noch ankäme auf mich und Begegnungen noch Bedeutung hätten«, wenigstens eine positive Note erdichten konnte. Darüber hat Professor Icks ja kein Wort verloren. Vielleicht schon, vielleicht ein kleines, von allen andern losgelöstes, das ich nicht verstanden habe. In den Hof will ich gehen, um Luft zu holen. Atmen Sie, atmen Sie! fordert Professor Stein. Und mit ihr galoppieren die Worte davon, und ein einziger Atemzug reicht für einen ganzen Vortrag, und nie, niemals, werde ich sie einholen. Leise, in sich hinein, weit, weit weg von allem, spricht Professor Icks, aber nur in seinem Büro, im Hörsaal thront er beinah wie ein Richter. Wohin, Agnes, hat es mich hier nur verschlagen? Was geht hier vor? Mein Denken und Verstehen

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