König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)
übernehmen, nämlich dafür zu sorgen, dass ich lange, lange ohne wesentliche Schmerzen ans Bett gefesselt und also daran gehindert bin, meinen Fuß über die Schwelle des ehrenwerten Instituts für Gedankenkunde und Verstehen zu setzen. (Auf den Prinzen verzichte ich übrigens auch in hundert Jahren gern, aber wenn Du kämst und mich mit dem Taschentuch des Königs wecktest und ausriefst: Lina, wach auf, der König hat vergessen, woran er sich erinnern wollte, dann fiele ich vor Lachen aus dem Bett, und eins, zwei, drei, kletterten wir schon die Rosenhecken hindurch und landeten voll stechender Schmerzen und blutiger Wunden an Armen, Beinen, Händen und möglicherweise sogar im Gesicht, auf der Straße vor dem Schloss, am Boden der Wirklichkeit.) Wirklich: Irgendetwas haben die Fee aus dem Märchen und Frau Professor Stein gemeinsam, etwas Unglückliches und auf unbestimmte Zeit Unglücklichmachendes. Womöglich ist auch Frau Professor Stein zu irgendeinem großen Fest nicht eingeladen worden? Und da sie aber der Meinung war, dass sie als besonders kluge Person naturgemäß ein Recht darauf hat, Gast zu sein und von einem goldenen Teller zu essen und Gaben zu überbringen, ist sie von nun an gezwungen, ganz unvermittelt irgendwo aufzutauchen und sehr dezent darauf hinzuweisen, dass sie jetzt da ist und sich von niemandem, absolut niemandem mehr den Platz da vorne und den leeren Stuhl entreißen lässt. Verstanden! Und wehe, einer versucht es. Und, so fix davon überzeugt, dass immer noch keiner etwas anderes will, als sie vom Fest fernbleiben zu sehen (immer wieder sind alle der König, und immer wieder muss irgendeiner die Rolle des lieben Kindes spielen, das, ohne es zu ahnen, die Unterbrechung herbeiführt) entgeht ihr, dass es sogar Menschen gibt, die lieber nicht zum großen Fest gehen mögen, und Töchter, die keinen Wert auf die Mitgift legen und auf den Sessel verzichten. (Stell Dir doch diese Feste vor: Schon bei der Tischrede des Königs möchte mein Kopf, in akuter Schläfrigkeit, in den Suppenteller fallen, wenn der nicht von lauter emsigen Dienern schon entfernt worden wäre. Allerdings, ja, einen Mundschenk, der sich meiner annimmt und mir während der Zeremonie genügend Wein einschenkt, hätte ich doch ganz gerne.) Aber womöglich wird Professor Stein, die dreizehnte Fee, erst recht böse, wenn sie merkt, dass gar nicht alle das wollen, was sie selber unbedingt will und wofür sie immerhin alles und mehr gegeben hat? Ihr ganzes eigenes Zimmer hat sie dem Büro geopfert und da soll einer es wagen und ein wenig am Tischbein kratzen, wo der Turm der Blätter schon fast in den Himmel wächst? (Und Justin tanzt oben und legt den Grundstein aufs Dach.) Jakob, wenn es Dich nicht gäbe und ich Dir nicht schreiben könnte? – Deine Lina
XI.
Es wird Zeit, einmal auf die Straße zu laufen und sich in einem Park zu verirren, meinetwegen auch im Wald, auf jeden Fall irgendwo draußen zu sein, im wirklichen Leben. Wenn ich immer nur so im Hörsaal, in der Bibliothek oder auf meinem Sofa sitze und zum Fenster hinaussehe und im Hof vor der Linde ein kleines Stelldichein mit dem Reisenden unterhalte, werde ich noch allen Bezug zu wirklichen Menschen verlieren. Und mir waren doch die Menschen einmal so lieb! Mir träumte von Festen, die spät nachts oder früh morgens in der Küche enden. In irgendeinem Topf köchelt noch ein letzter Rest Suppe, ein Tropfen Wein findet sich in der grünen Flasche unter dem Tisch, und Jakob und ich sitzen am Boden, lehnen unsere Rücken an den warmen Ofen, und nachdem einer das Gedicht vom Sieb rezitiert hat, fragt ein anderer, und Lina, jetzt bist du an der Reihe, erzähle uns, bevor wir nach Hause gehen, was ist dein größter Wunsch fürs Leben? Und ich, als ob ich den Text nur von der Wand ablesen müsste, weil ihn dahin ein anderer für mich schon übertragen hat, antworte: Ich möchte zeitlebens von guten Menschen umgeben sein, und immer ein Zimmer zum Nachdenken für mich allein haben, ein Zimmer mit weiß gestrichenen Wänden, auf denen die Feigheit, die Lüge und die Angst herum tanzen und mich beinahe verrückt machen. Als letzte muss die Sehnsucht sterben, und ich nach ihr, lange, lange nach ihr. Vor Nachkommen soll mich das Leben verschonen, ebenso vor großen Festen in großen Familien oder mit Berühmtheiten aus dem gegenwärtigen Geistesleben. Kämpfen möchte ich nur mit Gegnern, die sich als Engel entpuppen und mich segnen am Ende, nachdem ich verloren habe und an
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