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Königin der Engel

Königin der Engel

Titel: Königin der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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selbst empfand. Seine eigene Furcht war mit einer professionellen Faszination vermischt. Carol spürte das und zwickte ihn mit den Fingern kräftig und bösartig in die Nase.
    | Paß auf, sagte sie. Laß dich nicht einsaugen.
    | Wo sind wir? fragte er. In der gleichen Stadt, aber in einem anderen Stadium?
    | Mir kommt es so vor, als ob es die gleiche wäre. Aber das Dekor ist anders. Vielleicht wird es uns noch etwas zeigen – uns wirklich zeigen, wozu es fähig ist.
    | Es sollte gar nicht wissen, daß wir hier sind. Es sollte keine Ahnung haben, was wir sind.
    | Es weiß, daß wir hier sind. Das paßt ihm zwar nicht, aber es wird uns so einiges zeigen – sich ausdrücken.
    | Ich weiß nicht mal genau, was wir mit >es< meinen, beklagte sich Martin.
    | Irgendwas hat hier die Macht, sagte Carol. Kann sein, daß es der Repräsentant der Primärpersönlichkeit ist, oder vielleicht auch was anderes… Das Modell von Colonel Sir, das du draußen erwähnt hast. Was mich angegriffen hat, war mehr als der zarte Hauch eines Alptraums.
    | Möglicherweise sind wir in irgendwas reingeraten, das aus Goldsmiths Kindheit stammt, sagte Martin. Ich würde immer noch gern eine Figur finden, mit der wir sprechen können – einen Repräsentanten. Was mich erstaunt, ist, daß wir keine Anzeichen der Primärpersönlichkeit gefunden haben. Wo ist sie?
    | Als wir das letztemal so eine Figur suchen wollten, hat irgendwas uns das übelgenommen. Bist du sicher, daß wir’s nochmal versuchen sollten?
    | Ich weiß nicht, was wir sonst tun sollen, sagte Martin. Die volle Wucht dieses Geständnisses lähmte ihn einen Moment lang. Ich weiß nicht, was wir in Relation zu der Szene hier sind… ob wir außen oder innen sind, Spieler oder Beobachter. Aber ich fühle mich äußerst unwohl und wie auf dem Präsentierteller, wenn wir hier nur so rumstehen und uns unterhalten…
    | Dann sollten wir uns einen Führer heraufbeschwören. Wir müssen jedes Machtmittel nutzen, das wir haben. Mach mal ein paar konstruktive Vorschläge.
    | Ich versteh nicht recht, was du meinst, sagte Martin.
    | Wir verständigen uns über seine Gestalt und lassen was aus dem Boden wachsen. Einen Führer.
    Er drehte sich um und warf einen Blick auf die Schattengestalten, die immer noch um sie herumströmten, wie ein dunkler Fluß um Felsen. | Ich weiß einfach nicht genau, was wir noch verlieren könnten…
    Carol erschauerte. | Wenn ich nichts unternehme, verliere ich alles.
    | Wir sollten uns irgendwas Wahrscheinliches raussuchen. Etwas, das zu dieser Umgebung paßt.
    Er zeigte auf eine verfallene Ladenfassade, deren Schild schief über staubigen, schmutzbespritzten Fenstern hing. Die Buchstaben auf dem Schild ergaben keinen Sinn, aber ihr Stil und ihre Farbe deuteten auf etwas Lateinamerikanisches oder vielleicht Karibisches hin. Sie begaben sich vorsichtig in den Strom der Schattengestalten, gingen näher an die Fenster heran und spähten hinein, um zu sehen, was dort drin war.
    | Sag mir, was du siehst, bat Martin.
    | Glasgefäße mit Gewürzen. Kerzen. Kräuter. Alte Magazine. Religiöses Brimborium.
    Martin sah etwas ganz Ähnliches. Was ihn am meisten anzog, war das in bunten Farben ausgeführte Porträt einer Frau mit einem Schal in einem Rahmen aus Kunststoff und Silberfolie. Die bildliche Darstellung erinnerte an die Jungfrau Maria, aber das Bild selbst zeigte eine schwarze Frau mit erstaunlich großen weißen Augen und bloßen, vollen Brüsten. Zwei Jungen, beide schwarz und mit rotem Pelz bedeckt, hingen an ihren Brüsten. Verkrümmte Wurzeln lagen auf dem roten Tuch vor der Ikone. Eine der Wurzeln war eingeritzt worden und sonderte eine milchige Flüssigkeit ab.
    | Siehst du sie auch? fragte Carol.
    | Ja. Wieder die Zwillinge. Diesmal sind sie beide schwarz…
    | Sie sieht wie die Frau in dem Traum aus… wie hieß sie gleich noch – Julie?
    | Erzulie.
    | Beschwören wir sie herauf.
    | Nein, sagte Martin entschieden. Die spielt hier keine kleine Nebenrolle. An eine so mächtige Figur sollten wir uns lieber nicht ranwagen. Jedenfalls nicht als bloße Führerin.
    | Sie hat mit uns gesprochen und uns erzählt, was passiert ist, beharrte Carol, verblüfft von seinem Widerstreben.
    | Da gibt es irgendeinen Knoten. Eine Verbindung mit der männlichen Figur, die dich angegriffen hat. Ich würde sagen, laß uns fürs erste mit einfacheren Figuren arbeiten.
    | Meinst du, daß Goldsmith auf seine Mutter fixiert war? fragte Carol. Ihre

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