Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Königin der Engel

Königin der Engel

Titel: Königin der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
dich, Carol. Ich glaube, ich sehe dich. Deine Hand.
    | Ich sehe den Werkzeugkasten.
    | Ich übernehme beide Kästen. Ich bringe uns zu der vorigen Stelle zurück – wo wir waren, bevor uns der Schatten geholt hat.
    | Was? Doch nicht dahin. Ich will das nicht nochmal durchmachen.
    | Ich hab keine Reißleine.
    | Wieso nicht? Martin, es spielt mit uns! Wieso merken die draußen nicht, daß da was nicht stimmt?
    | Keine Ahnung. Ich hole uns jetzt raus.
    Martin restituierte sich auf einer dunklen Straße in der Stadt. Unter seinen bloßen Füßen knirschte schmutziger Schnee. Scharen von maskierten Schatten strömten träge um ihn herum. Er wich vor ihnen zurück, aber sie schienen alle mit anderen Aufgaben beschäftigt zu sein. Keiner von ihnen verschwendete seine Aufmerksamkeit auf ihn.
    Carols Bild war ein blaßrosa Nebel an seiner Seite. Er konzentrierte sich auf sie und versuchte, ihre Gestalt wiederherzustellen. Sie formte sich neben ihm, nackt.
    Erschrocken erkannte er, daß er ebenfalls nackt war. Sie schlang die Arme um ihre Brüste und musterte ihn mit einer verkniffenen, elenden Miene.! Bitte bring uns hier raus.
    | Ich werd’s versuchen. Ich kann uns an eine nicht verzeichnete Stelle versetzen. Das müßte Alarm auslösen. Margery und Erwin werden uns rausholen… Oder David und Karl reinschicken.
    | Die sollen niemand mehr schicken! Irgendwas ist schiefgegangen.
    | Kann man wohl sagen. Aber wir scheinen jetzt in der echten Landschaft zu sein.
    Carol warf einen Blick auf die Schatten um sie herum, die ihnen keinerlei Beachtung schenkten. Es waren nur Flecken mit Keramikmasken, keine anderen Charaktere. Sie versuchte, in sich selbst zu verschwinden, und Martin streckte die Hand nach ihr aus. Ihre Haut fühlte sich unter seinen Fingern warm und echt an.
    | Ich empfange deine Gefühle, sagte er. Wir haben einander nicht verloren.
    Sie warf ihm einen wütenden, vernichtenden Blick zu, der ihn erschreckte. | Warum kannst du uns nicht rausbringen?
    | Hol deinen Werkzeugkasten runter. Vielleicht kannst du’s, sagte er, wütend über ihren Ton.
    Sie zog einen roten Kasten herunter und griff nach der sichtbaren Reißleine, aber als sie daran ziehen wollte, riß sie ab. Der Kasten wurde zu einem blanken roten Würfel ohne Anzeigen oder Bedienungselemente. Martin holte seinen eigenen Werkzeugkasten herunter und sah den gleichen nutzlosen roten Würfel vor sich.
    | Es wird uns umbringen, sagte Carol. Es wird uns fressen.
    Martin spürte ihre Angst wie ein kalte Sonne an seiner Seite. Er schlang die Arme um seinen Körper und versuchte, seine wahre Substanz zu finden. Seine Haut fühlte sich echt an. Ihr Schmerz fühlte sich echt an.
    | Blute ich? fragte sie. Er sah Tränen auf ihren Wangen.
    Er warf einen Blick zwischen ihre Schenkel. | Nein. Kein Blut. Das warst nicht du, die vergewaltigt wurde.
    | Wer dann?
    | Ich weiß es nicht. Ein Kind, glaube ich.
    | Sein Vater hat ihn vergewaltigt? Ist es das, was wir gesehen haben?
    | Es war zu konfus. Wie ein Traum. Erinnerungen und Märchen.
    Sie erschauerte und legte den Kopf in den Nacken. | Ich geb mir Mühe, mich unter Kontrolle zu behalten, Martin. Bitte hab Geduld mit mir.
    Sie schloß die Augen und ließ die Arme sinken. Kleidungsstücke erschienen an ihrem Bild, zuerst ein Höschen, dann ein Kleid und schließlich ein formelles Langkostüm, dunkelblau und elegant. Martin stellte sich vor, daß er einen ähnlichen Langanzug anhatte, und merkte, wie sich die Kleider an seinem eigenen Bild formten.
    | Schon besser, sagte sie. Ihre Angst nahm merklich ab. Sie beachten uns gar nicht, stimmt’s? Sie zeigte auf die maskierten Schatten.
    | Im Augenblick nicht.
    Er sah sich in dieser neuen Version der Stadt um. Die Gebäude, die sich zu beiden Seiten der belebten Straße erhoben, waren immer noch Wolkenkratzer, aber uralte aus Stein und Ziegeln statt aus Glas und Stahl. Sie waren ungewöhnlich groß. Sie schienen tausend Meter und höher aufzuragen und sich an einem Fluchtpunkt weit oben zu treffen. Der Geruch von Rauch und Benzindämpfen stieg Martin in die Nase; so etwas hatte er seit seiner Kindheit nicht mehr gerochen.
    | Das ist ja bedrückend, sagte Carol. Was für ein schrecklicher Ort! Und wir sitzen hier fest.
    | Besser als da, wo wir vorher waren.
    Carol trat näher zu ihm. Sie hatte ihre Angst und ihre Empörung unter Kontrolle, aber nur knapp. Ihre Emotionen umgaben sie ätzend und sauer wie ein bitterer Nebel. Er wußte nicht genau, was er

Weitere Kostenlose Bücher