Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Königin der Engel

Königin der Engel

Titel: Königin der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
einen Selektor-Jiltz in einem Comb. Einer der Phung-Verdächtigen könnte dort sein. Wollen Sie mit von der Partie sein? Ich kann Sie in ein Unterstützungteam am Tatort stecken.«
    Kein Zögern. »Unbedingt, Sir. Da wäre ich gern dabei.«
    Reeve nannte ihr den Ort. Mary zog sich rasch an, dankbar dafür, daß sie dank ihrer Transformiertennatur viele Stunden lang ohne Schlaf in Aktion bleiben konnte.
     
    Dreiundzwanzig Minuten, nachdem sie ihre Wohnung verlassen hatte, stand sie auf dem Nordbalkon des Canoga Tower. Ihre dunklen, schlanken Finger lagen leicht auf dem polierten Messinggeländer, und sie schaute aus einer Höhe von vierhundert Metern auf LA herunter. Auf Anweisung des hiesigen CEC, des Comb Environment Commanders, hatte sie den Turm bis auf Zweidrittelhöhe erstiegen. Ein dichter Luftvorhang, der die kühlen Morgenbrisen abhielt, wisperte ein paar Zentimeter vor ihrem Gesicht, als sie sich vorbeugte.
    Rechts von ihr zog die Dämmerung eine graue, wäßrige Schmierspur über den nebligen Horizont.
    Mary hatte Reeves Einladung einfach deshalb angenommen, weil sie bei den Selektor-Ermittlungen die Hände im Spiel behalten wollte. Sie hatte sich vor sieben Monaten aus dem Phung-Fall zurückgezogen; Arbeitsbelastung Sackgassen und Entmutigung hatten sie zu dieser Entscheidung gezwungen.
    Sie mochte diese Einsätze nicht. Selektoren zu jiltzen war, als ob man in einen finsteren Alptraum eintauchte, an dem die gesamte Gesellschaft teilhatte. Aber wenn es einen Nexus gab, der alle Probleme im Kontext von Verbrechen, Gesellschaft und Bürgerschutz auf einen Nenner brachte, dann war es die Frage der Selektoren. Es war unmöglich, eine anständige PD zu sein und diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen zu lassen.
    Während sie auf weitere Anweisungen des CEC wartete, konzentrierte sie sich auf den Ausblick und legte alle anderen Gedanken auf Eis. Sie hatte ihre Warteposition erst vor zehn Minuten eingenommen und wußte noch nicht einmal, wo der Jiltz stattfinden sollte. Das würde erst kurz zuvor enthüllt werden, so daß sie gerade noch genug Zeit hatte, sich mit der Abschnittsgruppe ihres Teams zu treffen.
    Los Angeles bei Nacht war ein prachtvoller Anblick. Mary hatte einmal gelesen, daß nur eine junge Zivilisation ihr Licht verschwendete, indem sie es in leeren Raum warf. Genau das taten die jungen Städte der Erde immer noch, abgesehen von den Combs, deren unregelmäßige Türme sich dunkel vor dem alles überspannenden Himmelsglanz abzeichneten. Schräggestellte Spiegel, deren Ränder von Warnlichtern und den matt leuchtenden roten Linien von Meissnergelenken erhellt wurden, reflektierten die Nacht. In den Wohngebieten zwischen den Combs erstrahlten die Straßen weiterhin in Orange und Blau, weiß und blau gesprenkelt von Häusern wie von erdgebundenen Sternen. Ältere, kleinere Geschäftstürme trugen ein buntes Muster von Feierabendaktivitäten zwischen den Combs bei.
    Suborbitale Linienjets flogen mit dumpfem Dröhnen über sie hinweg zum LAX-Ozeanhafen, wie Meeresgeschöpfe aus invertierten Tiefen. Schwärme von ersten, zweiten und dritten Neorbit-Satelliten überstrahlten eine Milchstraße, die im Dunst von LA nie deutlich zu sehen war. Nichts in einer Stadt wie LA kam jemals zum Stillstand; ganze Gemeinden waren immer wach und aktiv, mit praktischen und theoretischen Dingen beschäftigt. Sie konnte zu diesem Rhythmus taischen; sie liebte die Stadt. LA war jetzt ihre Mutter und ihr Vater, groß und alles umhüllend; sie versorgte jeden mit Nahrung und Arbeit, war gesund und krankmachend, herausfordernd und anstrengend. Bedrohlich.
    Mary war schon bei zwei Selektor-Jiltzen dabeigewesen. Der erste war eine Farce gewesen; weder Opfer noch Verdächtige, nur eine demontierte Höllenkrone, der einige Teile fehlten, in einem verlassenen, verfallenden kalifornischen Bungalow im Schatten. Beim zweiten hatten sie Phung selbst gefunden; er war in einem Industriegebiet im Zinken Siebenunddreißig eingesperrt gewesen, nackt auf eine schmutzige Pritsche gefesselt, unter eine kleine Höllenkrone (einen Hispaniola-Import) geklammert, und hatte seine Strafe bekommen – zwei Minuten in einer Hölle, die schlimmer war als alles, was sich der perverseste Theologe ausdenken konnte.
    Selektoren waren tro shink vorsichtig und sehr schlau. Sie waren fast alle hochrangige Natürliche, obwohl sie in diesem einen Punkt nicht alle Tassen im Schrank hatten: Sie hielten sich für die Chirurgen einer kranken Gesellschaft. Sie

Weitere Kostenlose Bücher