Königin der Engel
Vorsicht. AXIS hat fast mit Sicherheit Leben entdeckt. Aber es könnte sich durchaus noch herausstellen, daß die Türme, die AXIS gesehen hat, etwas anderes sind als Gebäude oder Städte.
Was meinen Sie? Geben Sie Ihr Votum auf unserer Mehrwegleitung ab und schicken Sie uns ihre Heimvideo-Anmerkungen unter Angabe Ihrer Kontonummer. Vielleicht wird Ihre Meinung dem gesamten LitVid-21-Publikum vorgestellt…«
17
Mary Choy stieg aus einem Interzinken-PD-Minibus und warf einen kurzen Blick zum Ost-Comb Eins hinauf, dem senkrechten Stapel schmaler, waagrechter Spiegel, an dem vier Sektoren zu silbernen Vertikalen angeordnet waren, bereit, in einigen Stunden die sinkende Sonne im Westen auf den sechsten Zinken zu spiegeln, wo E Hassida wohnte. Die Stadt lag unter einförmigen Zinnwolken, die sich vom Meer heranschoben und die Combs enthaupteten. Vielleicht gab es heute abend gar keine brauchbare Sonne, möglicherweise würde es sogar regnen, aber die Combs trafen trotzdem ihre Vorbereitungen, wie von Schuldgefühlen wegen ihrer schattenwerfenden Existenz motiviert.
Mary blieb auf der Veranda stehen und wartete darauf, daß der Hausmanager sie anmeldete. Ernest Hassida machte die dunkle, eichenvertäfelte Tür auf und lächelte warm; klein und muskulös rundes Gesicht mit traurigen Augen ausgeglichen durch einen von Natur aus lustigen Mund und runde Wangen. Mary lächelte zurück und spürte, wie das Schlimmste der Woche unter der Wärme seiner stummen Begrüßung von ihr abglitt.
Er trat mit einer galanten, schwungvollen Armbewegung zur Seite, und sie kam herein und umarmte ihn. Sein Kopf war auf der Höhe ihrer Brüste. Er rieb seine Nase dort kurz an der schwarzen Uniform, wich zurück und schüttelte sich zuviel für ihn grinste breit und zeigte dabei kleine regelmäßige strahlend weiße Zähne; in seinen Schneidezähnen waren winzige Rosen zu sehen. Er bat sie mit einer Handbewegung, Platz zu nehmen.
»Darf ich taischen?« fragte sie.
»Natürlich.« Seine Stimme war samtweich. »Bist du im Streß?«
»Es hat einen häßlichen Mord gegeben. Und einen Selektor-Jiltz. Ich muß gleich zur Aufsicht, um eine Erkundigung einzuholen.«
»So. Du schiebst also nicht gerade eine ruhige Kugel. Ganz im Gegenteil.«
E Hassida verfolgte die Netze oder LitVids nur selten, aber er hatte alles andere als eine Abneigung gegen Technik. Sein kleiner alter Bungalow war mit erstklassigen Geräten vollgestopft, die sie oftmals verwirrten. Ernest war ein technisches Genie im Organisieren und Integrieren. Er brachte disparate Elemente zu einem Zehntel der normalen Kosten dazu, miteinander zu harmonieren: Musik aus allen Richtungen auf eine Handbewegung hin. Tanzendes Kunstlicht, das Wände in funktionierende Prospekte verwandelte. Dinosaurier, die grinsend und blinzelnd durch Fenster hereinspähten. Engel, die nachts über dem Bett schwebten und leise Schlaflieder sangen, während alte japanische Weise mit Köpfen wie längliche Melonen Ratschläge zum Mahayana gaben, die klugen Augen von kosmischem Humor gefältelt.
Er trat zurück, verbeugte sich, kehrte zu seiner visuellen Tastatur zurück und machte sich wieder an die Arbeit, als ob sie gar nicht da wäre. Seine Anwesenheit bewirkte, daß Mary sich etwas entspannte; sie begann mit dem langen, improvisierten Tai-Chi-Tanz und verdrehte die Arme wie am Morgen zuvor, aber anmutiger, selbstsicherer und flüssiger. Sie sah sich selbst als See als Fluß als Regenschauer über der Stadt. Sie fand ihre Mitte, verhielt einen Moment lang reglos und machte die Augen auf.
»Lunch?« fragte Ernest. Auf den drei großen, flachen Bildschirmen hinter seiner Tastatur waren furchterregende Gesichter zu sehen, lang und eckig, kaum noch menschlich, die sie mit Augen wie glühende Kohlen aus Eis verfolgten. Ihre Umrisse wurden von Neonlicht hervorgehoben und von kreidekörnigen, kindlichen Temperafarben ausgefüllt. Eines hatte einen Tierschädel als Nase, den einer Katze oder eines Hundes.
»Gruselig«, bemerkte sie.
»Aliens«, sagte er stolz. »Hab mir ein paar Details von der Barrio-Holograffiti geborgt.«
E Hassida hatte sich auf Aliens spezialisiert. Halb japanisch, halb hispanglisch, wechselte er zwischen den leuchtenden Primärfarben von Motiven der Mayakultur/der mexikanischen Kultur und den ruhigen, erdigen Pastellfarben des alten Japan hin und her, zwischen Landschaften und transformierter Pop-Art. Seine Arbeit war erschreckend und anregend. Mary hätte Ernest auch ohne sein
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