Königin der Engel
Talent akzeptiert; mit ihm ergänzte er sie perfekt – er war chaotisch verwirrend inspirierend, im Gegensatz zu ihrer Sorgfalt Gelassenheit Nüchternheit.
»Willst du drüber reden?« fragte er, als er sich neben sie auf den Rand der Couch setzte und mit Handbewegungen in der Maschinenzeichensprache – seiner eigenen Erfindung – etwas zu essen bestellte. Drei aus Schrottfundstücken zu anmutigen Abstraktionen in Schwarz und Grau geformte Arbeiter, einer mit urnenförmigen Kurven, ein anderer mit kubistischen Kanten, rollten und kreiselten in den Raum, der als Küche und Spielzimmer für Nanoprojekte diente.
»Ich fliege wahrscheinlich nach Hispaniola«, sagte sie. »Die Genehmigungen werden im voraus beschafft. Der Verdächtige ist auf der Flucht.«
»Was für ein Verbrechen soll er begangen haben?«
»Acht Morde. Eine Orgie, die eine ganze Nacht gedauert hat.«
Ernest stieß einen Pfiff aus. »Arme Mary. Solche Sachen machen dir schwer zu schaffen.«
»Ich hasse sie«, sagte sie.
»Zuviel Mitgefühl. Schau: Du hast getaischt, aber du bist schon wieder steif.«
Sie löste ihre verkrampften Finger und schüttelte den Kopf. »Das ist keine Wut, sondern Frustration.« Ihre schwarzen Augen suchten in seinem Gesicht. »Wie können Menschen so etwas tun? Wie ist es möglich, daß etwas so schrecklich schiefläuft?«
»Nicht jeder ist so ausgeglichen wie du… und ich«, sagte Ernest mit einem leisen Lächeln.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde den Mistkerl finden.«
»Das klingt jetzt aber doch nach Wut«, sagte Ernest.
»Ich möchte, daß es endlich vorbei ist. Ich möchte, daß wir alle erwachsen und glücklich sind. Wir alle.«
Ernest schnalzte zweifelnd mit der Zunge. »Du bist eine PD. Sowas wie eine Ärztin. Wenn alle gut angepaßt sind, bist du arbeitslos.«
»Hätte ich nichts dagegen. Du…« Mary suchte nach Worten, fand aber keine. Eine Zurschaustellung ihrer Zweifel und Schwächen. Ernest war seit zwei Jahren ihre Klagemauer. Er spielte die Rolle gelassen, ihr privater Psychologe, ihr Seelentröster. »Ich hab heute nicht mal Zeit für Liebe.«
»Wenn du zwischen Liebe und Lunch wählen könntest, würdest du dann meinen Lunch nehmen?«
»Du bist ein guter Koch.«
»Wie viele Stunden bist du schon auf den Beinen?«
»Zu viele. Aber ich hatte eine Pause, und jetzt mache ich gerade noch eine. Mach dir keine Sorgen. Ernest, hast du schon mal was von Emanuel Goldsmith gehört?«
»Nein.«
»Ein Dichter. Romanschriftsteller. Dramatiker.«
»Ich bin bildender Künstler, kein Literat.«
»Er ist der Verdächtige. Ein bedeutender Mann. Hat im Fuß eines Combs gewohnt. Steht im Verdacht, acht junge Anhänger ermordet zu haben. Kein Motiv. Er ist verschwunden, und ich glaube, er könnte nach Hispaniola geflohen sein. Colonel Sir John Yardley hat ihn ganz offen eingeladen. Du hast mir mal erzählt, daß du ein paar Leute aus Hispaniola kennst.«
Ernest runzelte die Stirn. »Ich wäre gar nicht begeistert, wenn du zu denen gehen würdest, Mary. Wenn du was über Hispaniola erfahren willst, warum gehst du dann nicht in die PD-Bibliothek und schlägst es nach? Ich bin sicher, da steht alles drin, was du wissen mußt…«
»Das habe ich bereits getan, aber ich brauche trotzdem noch die Meinung eines Insiders. Speziell von einem von der Gegenpartei.«
Er kniff ein Auge zu. »Freunde von mir kennen Leute, die dort gearbeitet haben. Keine netten Leute. Die trauen keinem.«
Sie streichelte seine Wange, glatte schwarze Hand auf braunem Gesicht mit spärlichem Bart. »Ich würde gern mit deinen Bekannten sprechen. Kannst du das arrangieren?«
»Sie sind arbeitslos, untherapiert und ihre Aufenthaltserlaubnis läuft bald aus – trotzdem, sie würden die Gelegenheit, dich zu treffen, sofort beim Schopf packen. Das wäre Unterhaltung für sie, Mary. Aber sie sind unter den Raphkind-Einwanderungsgesetzen hier. Hispaniola hat sie im Stich gelassen, als in Washington das Kind in den Brunnen gefallen ist. Sie haben Angst, zurückgeschickt zu werden. Sie sind auf der Flucht vor den Einwanderungsbehörden, und auch vor den Selektoren.«
»Ich kann ein Auge zudrücken.«
»Wirklich? Für mich hörst du dich wie eine wütende Frau an. Kann sein, daß dich der Wunsch überkommt, sie einlochen und therapieren zu lassen.«
»Ich kann mich beherrschen.«
Ernest senkte den Blick auf seine Hände, die von der Arbeit knorrig geworden waren. Nanonarben. Mit manchen seiner Materialien ging er nicht so vorsichtig
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