Königin der Engel
Wollpullover mit hochgekrempeltem linken Ärmel, um einen kräftigen Arm zu zeigen – Mode damals; in dem hochgekrempelten Teil steckte eine ID-Kommbox mit Satellitenanschluß, die das Zigarettenpäckchen von siebzig Jahren zuvor ersetzt hatte; jugendliches, freundliches Lächeln, lockeres Gehabe, entspannt vor der Interviewerin. Sprach über seine Arbeit Ambitionen Ziele. Dünne Stimme, aber nette Worte, ziselierter New York-Akzent mit Mittelwest-Einsprengseln. Goldsmith war gebildet; er beeindruckte die Interviewerin mit seiner höflichen Gelassenheit, in Anbetracht der hitzigen Ansichten, die in seinem Buch zum Ausdruck kamen, Ansichten über Afrika:
»Kann niemals meine Heimat sein. Es ist nur eine Heimat, in die mein Geist gehen wird, wenn ich sterbe. Ein paar Schwarze haben sich noch den Glauben an ein Vaterland dort bewahrt, in das sie zurückkehren können; sie hassen mich, weil ich weiß, daß das unmöglich ist. Kein Afrikaner will uns haben; wir sind zu weiß.«
und Amerika:
»Ich erzähle meinen Brüdern und Schwestern, daß der finanzielle Kampf gewonnen ist, nicht jedoch der politische und kulturelle, und ganz gewiß nicht der spirituelle. Wir haben immer noch Kaffeehaut in einer Machtstruktur, in der die Sahne zählt, nicht der Kaffee. Unser Krieg findet im Inneren Amerikas statt. Wir werden uns hier nie zu Hause fühlen, nicht bevor der Tag kommt, an dem uns keiner mehr fragt, wie es ist, schwarz zu sein, an dem sich keiner mehr über die Erfahrungen der Schwarzen ausläßt.«
und Poesie:
»In einer Welt, in der LitVid und Analphabetentum um sich greifen – man nennt das Vidiotie, habe ich gehört – ist die Poesie tot und begraben. Folglich hat sie ungeheure Freiheit: da sie ignoriert wird, kann sie wie eine Rose in einem Misthaufen aufblühen. Die Poesie ist wiederauferstanden. Sie ist der Messias der Literatur, aber der Engel hat noch keinem gesagt, daß sie wiederauferstanden ist.«
und über den Verkauf von mehr als einer Viertelmillion Hardcover-Exemplaren seines zweiten Gedichtbandes:
»Schmeichelhaft und zerstörerisch. Ich muß das genau im Auge behalten. Darf nicht zulassen, daß es mir zu Kopf steigt. Ich bin nur der eine Schwarze pro Generation, der die Chance bekommt, laut und deutlich seine Meinung zu sagen. Was mich als Dichter betrifft, so sind wir jetzt derart viele überall auf der Welt und stehen derart eng in Kontakt, daß jede kleine Anwandlung von Begeisterung seitens der Massen von großer Bedeutung ist und den Dichter, den Künstler ernähren kann, wenn seine Bedürfnisse so bescheiden sind wie meine.«
Martin ging zu literarischen Details über. Ein Strom von Worten ergoß sich über ihn, Namen Daten Lehrer, alle weitgehend irrelevant, darunter auch Material, das er für privat und nicht mehr auffindbar gehalten hätte: eine frühe Psychobeurteilung einer Agentur aus dem Jahr 2021 – zu früh, um zuverlässig zu sein –, die aus Jux erstellt worden war und Goldsmith anscheinend als zuverlässigen, eigensinnigen jungen Mann mit gut kontrolliertem, aber feststellbarem Größenwahn, sogar Messianismus darstellte. Jung zufolge war Messianismus immer mit Minderwertigkeitskomplexen verbunden. Davon hier jedoch keine Spur.
Was ihm besonders auffiel, war das Fehlen von Unterlagen aus Goldsmiths Kindheit – nichts aus der Zeit vor seinem fünfzehnten Lebensjahr. Als Heranwachsender hat Goldsmith in Familienvideos keine Ähnlichkeit mit Vater oder Mutter; Vater wohlbeleibt Mittelschicht jovial, Mutter dünn und ernst, entschlossen, diesem Kind eine gute literarische Erziehung angedeihen zu lassen, Bücher, keine Vids; Kazantzakis Cavafi im griechischen Original sowohl Joyce als auch Burroughs Edgar Rice und William und Shakespeare Goldstern Remick Randall Burgess, die Dichter und Schriftsteller des neuen Jahrhunderts aus dem amerikanischen Mittelwesten, wo Goldsmith seine Teenagerzeit und die frühen Zwanziger vor seinem ersten Buch mit diesem gemischten Akzent darin verbracht hatte. Keine augenfälligen Schwierigkeiten mit Rassismus in seiner Jugend; beliebt bei seinen Klassenkameraden, auf bestem Wege in ein Mittelklassedasein.
Eine Liste nach der anderen. Lieblingsspeisen mit fünfzehn, wie von Goldsmith aufgezeichnet: Gebratener Zuchtfisch synthetisches gewürztes Steak Tomaten Äpfel
weiter im Schnelldurchlauf
drittrangiger High-School-Absolvent bester in Sport und Mathe zweitbester in Literatur und drittbester bei der Produktion dramatischer Literatur zweitbester
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