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Königin der Engel

Königin der Engel

Titel: Königin der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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technische Fragen.«
    Martin sammelte seine Gedanken, obwohl er das alles seinen Kollegen und sogar der großen Öffentlichkeit hundertmal erklärt hatte. Diesmal würde er sich keine kunstvollen Ausschmückungen erlauben. Die Landschaft war an sich schon phantastisch genug.
    »Sie ist die Basis aller menschlichen Denkprozesse, all unserer großen und kleinen Ichs. Sie ist bei jedem von uns anders. So etwas wie ein einheitliches menschliches Bewußtsein gibt es nicht. Es gibt Primärroutinen, die wir als Persönlichkeiten bezeichnen; eine davon bildet normalerweise das bewußte Ich, und sie sind teilweise mit anderen Routinen integriert, die ich Nebenpersönlichkeiten, Talente oder Agenten nenne. Das sind eigentlich begrenzte, unvollständige Versionen von Persönlichkeiten. Um zum Ausdruck zu kommen oder die Herrschaft über den gesamten Geist zu erhalten, müssen sie nach vorn geholt und paßgenau mit der Primärpersönlichkeit verzahnt werden, das heißt mit dem, was man früher als Bewußtsein bezeichnet hat, mit unserem führenden Ich.
    Talente sind Komplexe von Fähigkeiten und Instinkten, von erlerntem und vorstrukturiertem Verhalten. Sex ist der augenfälligste und umfangreichste – zwanzig Talente bei reifen Erwachsenen. Wut ist ein anderer; für die Wutreaktion sind gewöhnlich fünf Talente vorgesehen. Bei einem integrierten, sozial angepaßten Erwachsenen über dreißig bleiben normalerweise nur zwei solche Wuttalente übrig, soziale Wut und private Wut. Wir leben in einer Zeit der sozialen Wut.«
    Albigoni hörte zu, ohne zu nicken.
    »Die Selektoren beispielsweise werden von sozialer Wut beherrscht. Die haben sie mit privater Wut durcheinandergebracht. Sozialwuttalente kontrollieren ihre Primärroutinen.«
    »Talente sind also Persönlichkeiten«, warf Lascal unsicher ein.
    »Keine voll entwickelten. Bei ausgeglichenen, gesunden Individuen sind sie nicht autonom.«
    »Gut«, sagte Albigoni. »Soviel ist klar. Was für andere Talente gibt es noch?«
    »Hunderte, zumeist rudimentäre, die fast alle bei den Primärroutinen Anleihen machen oder mit ihnen parallel laufen, die sich alle glatt integrieren und miteinander verzahnen« – er schob seine Knöchel wie Zahnräder ineinander und verdrehte die Hände – »um ein gesundes Individuum zu bilden.«
    »Sie sagen fast alle. Was ist mit den Routinen und Subroutinen, die keine Anleihen machen, die höchstwahrscheinlich« – er warf einen Blick auf seine Notizen – »Nebenpersönlichkeiten oder Sekundärpersönlichkeiten sind, wie Sie es nennen.«
    »Sehr komplexes Schema«, sagte Martin. »Ist in meinem zweiten Buch drin.« Er nickte zum Bildschirm der Tafel hin. »Zu den Neben- oder Sekundärpersönlichkeiten gehören jene Routinen, die das Männliche und das Weibliche konstituieren und die Jung als Animus und Anima bezeichnet hat… Dann größere Beschäftigungsroutinen, das heißt, die jeweilige Persönlichkeit, die man annimmt, wenn man seinen Geschäften nachgeht oder eine bedeutende Rolle in der Gesellschaft spielt… Jede Routine, von der anzunehmen ist, daß sie die Primärpersönlichkeit für eine nicht unwesentliche Zeitspanne gestalten oder ersetzen kann.«
    »Ein Künstler oder Dichter zu sein, vielleicht?«
    »Oder Ehemann/Ehefrau oder Vater/Mutter.«
    Albigoni nickte. Seine Augen waren geschlossen und verloren sich beinahe in seinem breiten Gesicht. »Den wenigen Nachforschungen, die ich in den letzten sechsunddreißig Stunden anstellen konnte, habe ich entnommen, daß Therapie meistens ein Stimulus für abgelegte oder unterdrückte Routinen und Subroutinen ist, um eine bessere Balance zu erreichen.«
    Martin nickte. »Oder die Unterdrückung einer unerwünschten oder defekten Nebenpersönlichkeit. Das kann manchmal durch äußere Therapie – indem man darüber spricht – oder durch einen inneren Stimulus bewerkstelligt werden, zum Beispiel durch die direkte Simulation eingebildeter Wachstumserfahrungen. Man kann es durch die physische Umstrukturierung des Gehirns erreichen, indem man sie mit chemischen Mitteln hervorholt oder unterdrückt, oder – noch radikaler – durch Mikrochirurgie, um den Sitz unerwünschter, dominanter Routinen zu versiegeln.«
    »Bei einem Triebtäter zum Beispiel…«
    »Die typische Therapie für einen Triebtäter besteht darin, daß der Sitz einer unerwünschten, dominanten Sexualroutine zerstört wird.«
    »Mit aller Vorsicht.«
    »Selbstverständlich«, sagte Martin. »Dominante Routinen können große

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