Königin der Schwerter
dran sein mochte. Andererseits sah die vornehm gekleidete D a me mit dem Fuchspelzkragen, die die Figur soeben erstanden hatte, nun wirklich nicht wie ein Strohmann aus. Sandra hatte mittlerweile einen Blick für so etwas. Als freie Redakteurin des »Stad t anzeigers« hatte sie schon über so manche Auktion berichtet. Im Stillen bedauerte sie, dass es nicht mehr so spektakuläre Ve r steigerungen wie diese gab, denn aufgrund der beso n deren Umstände würde ihr Bericht diesmal fast eine ganze Seite im Stadta n zeiger bekommen. Die lange Reportage würde ihr gutes Geld einbringen, das sie dringend benötigte. Seit sie ihr Journalismusstudium begonnen hatte, war sie auf jeden zusätzlichen Cent angewiesen.
»… dieses schlichte, aber sehr gut erhaltene Exp o nat aus den Anden stammt vermutlich aus dem elften Jahrhundert. Es besitzt einen Steigbügelhenkel und wurde bei religiösen Zeremonien der Mochica als Spendengefäß für Trankopfer genutzt. Ein übe r aus seltenes Exemplar, das heute selbst für Museen nur noch schwer zu bekommen ist. Wir beginnen mit fünfhundert! Höre ich fünfhundert?«
Sandra verscheuchte den Gedanken an ihren schmalen Geldbeutel und wandte sich wieder dem Podium zu.
»Fünfhundert! Höre ich fünfhundert?«, fragte der Auktionator noch einmal.
Keiner der Anwesenden hob die Hand.
»Niemand fünfhundert?«
Schweigen.
Der Auktionator wartete noch ein paar Sekunden, bevor er die Tonfigur an seine Mitarbeiterin zurüc k gab.
Irgendwie tat er Sandra leid. Die zweifellos wertvo l len Exponate hatten wahrlich ein größeres und kau f lustigeres Publikum verdient. Während sie sich eine Notiz über die Kaufunlust des Publikums mac h te, hörte sie, wie er leise mit der Mitarbeiterin sprach. Sie blic k te auf und sah, wie diese aus einer mit Holzwolle g e füllten Kiste eine etwa zwanzig Zentimeter hohe Skulptur in Form eines kauernden Affen hervorholte und auf das Pult stellte. Ein Ra u nen lief durch den Saal, und für den Bruchteil eines Augenblicks glaubte Sandra einen kühlen Windzug auf der Haut zu spüren, der sie frösteln ließ.
»Diese Affen-Skulptur ist wohl eines der ung e wöhnlichsten Stücke aus dem Nachlass der Gräfin de Lyss«, verkündete der Auktionator mit routinie r ter Stimme. »Ohne Zweifel handelt es sich bei dem E x ponat um eine überaus seltene Skulptur, die in der Kunstgeschichte ihresgleichen sucht. Nach den uns vorliegenden Informationen handelt es sich um ein Fundstück aus der zentralasiatischen Taklamakan-Wüste, das die Gräfin erst kürzlich erworben hat. Ich muss jedoch einschränken, dass die Sachverständ i gen sich nicht auf ein genaues Alter einigen und es auch keiner der bekannten Kulturen eindeutig z u ordnen konnten. Einige schätzen die Skulptur auf etwa ach t hundert bis eintausend Jahre. Andere hingegen vertr e ten die Ansicht, dass es sich auch um eine hervorr a gende Fälschung aus jüngster Zeit ha n deln könnte. Sollten Sie sich für dieses Stück int e ressieren, bietet sich Ihnen nunmehr die einmalige Gelegenheit, ein unter Umständen wertvolles Exponat günstig zu e r werben, da wir auf Grund der widersprüchlichen Au s sagen nur einen Mindestaukt i onspreis von einhundert Euro ansetzen konnten.«
Die Worte des Auktionators zogen an Sandra vo r bei, ohne dass sie richtig zuhörte. Wie gebannt starrte sie auf die sandfarbene Tonfigur mit dem grimmigen Affengesicht. Sie liebte Affen über alles. In ihrer kle i nen Wohnung tummelten sich an die hundert Stoffa f fen; sie füllten Vitrinen, besetzten Regale und Fenste r bänke und waren auch als Bil d motiv überall zu finden. Affenmotive auf Porzellan, auf der Bettwäsche, den Bildern und den Handt ü chern. Wo immer Sandra einen Stoffaffen entdeckte, konnte sie einfach nicht widerstehen.
»Wenn du so weitermachst, wirst du noch mal e i nen Affen heiraten«, hatte ihre beste Freundin M a non erst vor Kurzem scherzhaft gesagt.
»Einhundert Euro! Höre ich einhundert Euro?«
Sandras Hand schoss samt Bleistift in die Höhe, als besäße sie ein Eigenleben. Der kauernde Affe hatte sie augenblicklich in Bann gezogen. Sie musste ihn haben.
»Einhundert zum Ersten … Einhundert zum Zwe i ten …«
Zu Sandras Überraschung schien sie die Einzige zu sein, die an der Skulptur Interesse hatte.
»… Einhundert zum Dritten!« Erst das harte Kl a cken des hölzernen Hammers machte ihr bewusst, dass sie gerade ein Großteil des Honorars, das sie für die Reportage erhalten würde, für eine
Weitere Kostenlose Bücher