Königin für neun Tage
jetzt nötig brauchte. Aber was konnte sie schon gegen Guildford Dudley ausrichten?
Kaum waren sie allein, zog Guildford Jane grob vom Boden hoch. »Reiß dich zusammen, Jane!«, fuhr er sie an und schüttelte sie so heftig, dass ihr Kopf von rechts nach links flog. »Du wirst dich jetzt anziehen, dann werden wir gemeinsam nach London reiten, wo dich mein Vater bereits erwartet.«
Bei der Erwähnung des Herzogs von Northumberland war es Jane, als risse man den Schleier, der ihren scharfen Blick seit Monaten getrübt hatte, von ihren Augen.
»Du hast es gewusst!«, spie sie Guildford an. »Du hast es die ganze Zeit über gewusst, schon bevor sie uns vermählten. Darum hast du mich zur Frau genommen. Alles war von langer Hand geplant.«
Die Erkenntnis, in einem Spiel, dessen Regeln sie nicht kannte, nur ein Stein zu sein, erschreckte Jane nicht nur, nein, es machte sie unglaublich zornig. Wie hatte sie so blind sein und glauben können, dass John Dudley ihr Guildford zum Mann gegeben hatte, ohne damit ehrgeizige Pläne zu verfolgen! Sie war noch minderjährig, würde nicht allein regieren können, ebenso wenig Guildford, der früher oder später als ihr Mann zum König gekrönt werden würde. Was lag also näher, als dass der besorgte Schwiegervater weiterhin die Staatsgeschäfte führte?
In einem plötzlich Wutanfall schlug Jane Guildford heftig mitten ins Gesicht.
Er war so überrascht, dass er einen Schritt zurückwich. »Jane, was soll das bedeuten?«
»Ich hasse dich, Guildford Dudley! Dich und deinen korrupten Vater ebenso wie meine Eltern, die an dem ganzen Komplott von Anfang an beteiligt waren. Ich bin jetzt Königin? Nun denn, dann befehle ich, man möge mir Badewasser und eine Dienerin zum Ankleiden schicken. Meine schnellstmögliche Anwesenheit in London ist tatsächlich notwendig!«
Dort werde ich alles aufklären, schwor sich Jane, die keinesfalls so sicher war, wie ihre Worte es vermuten ließen. Sie war fest entschlossen, vor den versammelten Kronrat hinzutreten und öffentlich zu sagen, dass ihr die Krone nicht gebührte. Lady Mary Tudor war die rechtmäßige Erbin, sie selbst hatte nicht das geringste Interesse am Thron von England.
Antonia fand Norman allein in der Halle an eine Säule gelehnt. Mit wachsbleichem Gesicht trat sie auf ihn zu und flüsterte: »Das kann nicht sein, Sir Norman. Sagt, dass das alles nur ein schlechter Traum ist!«
Norman zuckte mit den Schultern, um seinen Mund bildete sich ein bitterer Zug. »Dudley, Grey und die anderen haben dafür gesorgt, dass Edward dieses Testament unterschrieben hat. Ich bin wirklich nicht für eine katholische Herrscherin auf dem Thron, aber Mary Tudor wird diesen Affront nicht unerwidert lassen. Wie hat es Jane aufgenommen?«
»Sie ist entsetzt und fassungslos. Mit keinem Wort hat man sie darauf vorbereitet, nie hat ihr Vater eine Andeutung gemacht, dass sie die nächste Königin wird.«
Normans Blick ging in die Ferne, er starrte auf einen imaginären Punkt irgendwo am anderen Ende der Halle. Antonia hatte das Gefühl, er hatte ihre Anwesenheit vergessen, als er sagte: »Manchmal wünsche ich mir, diesem ganzen Irrsinn hier entfliehen zu können. Irgendwohin, wo ich in Ruhe und Beschaulichkeit mit einer Frau und Kindern leben kann und meine einzige Sorge das Kalben von Kühen und das Einbringen der Ernte ist.«
Zögernd griff Antonia nach seiner Hand und drückte sie leicht. Sie war eiskalt, und er zog sie nicht zurück. Am liebsten hätte sie ihm gesagt, dass seine Wünsche auch die ihrigen waren.
Lass uns fortgehen. Egal wohin, nur weit weg von London und seinen Intrigen
, rief ihr Herz, doch ihre Lippen formten die bange Frage: »Was wird jetzt geschehen? Was wird mit Jane geschehen?«
Normans Blick kehrte in die Realität zurück. Erstaunt bemerkte er, dass er Antonias Hand hielt. Diese kleine Berührung durchströmte ihn jedoch mit einer Wärme, die er seit Jahren nicht mehr empfunden hatte. Langsam zog er Antonia näher an sich heran und barg sein Gesicht in ihrem Haar.
»Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht. Jane ist jedoch mutig und stark, viel stärker, als ihre Erscheinung es vermuten lässt. Ich bete, dass niemand sie verletzt, und bin überzeugt, sie wird eine gute und gerechte Königin sein.«
Da war es wieder – das Gefühl der Eifersucht, wenn Norman über Jane sprach. Was nützte es Antonia, wenn der Verstand ihr sagte, dass Jane nicht nur die Frau eines anderen, sondern nun auch noch die höchste Frau in ganz
Weitere Kostenlose Bücher