Königin für neun Tage
meinte, ihn schon einmal gesehen zu haben. Als der Wachmann die Stimme erhob und sagte: »Phoebe Bentlin, du bist überführt und verurteilt der Hexerei und der Ketzerei …«, fuhr Antonia ein eisiger Schreck durch die Adern: Es war John! John, der einstige Knappe aus Hampton Court, mit dem sie im gleichen Raum geschlafen und mit dem sie gekämpft hatte.
Antonia drehte sich um und zog dabei so heftig am Halfter, dass ihr Pferd laut aufwieherte. Durch das Geräusch aufmerksam geworden, wandte sich John um und sah Antonia direkt in die Augen, bevor sie diese niederschlug. Dann wanderte Johns Blick zu Norman, der direkt hinter ihr stand, und ein Erkennen leuchtete in seinem Gesicht auf.
»Norman Powderham!«, schrie er. »Dort drüben steht ein Mann, der wegen Hochverrats gesucht wird!«
Vergessen war die Bauersfrau. John konnte sein Glück kaum fassen, dass er diesen Verbrecher hier mitten auf dem Land aufgespürt hatte. Dann ging alles blitzschnell. Die Soldaten zogen ihre Schwerter und gingen auf Norman und Antonia los. Norman blieb keine Zeit, sein eigenes Schwert, das am Sattel seines Pferdes hing, zu ziehen. Er gab Antonia einen Stoß und rief: »Sitz auf und hau ab! Sofort!«
Antonia schwang sich blitzschnell in den Sattel, und ehe die Soldaten sie erreicht hatten, preschte sie durch die Menge der erstaunten Leute, die vor Angst, von den Hufen getroffen zu werden, zurückwichen.
»Das ist das verräterische Weib Antonia Fenton!«, hörte sie John schreien. »Sie darf uns nicht entkommen!«
Antonia hieb dem Tier ihre Fersen in die Flanken. Die Hufe donnerten über den Weg, Erdklumpen flogen ihr um die Ohren. Sie hörte, wie einige Männer ihr nachsetzten und wagte einen raschen Blick über die Schulter zurück. Norman war von sechs bewaffneten Männern eingekreist worden, er hatte keine Chance, sich zu wehren. Vier Wachen hatten ihre Verfolgung aufgenommen.
Norman!, dachte sie verzweifelt, sah aber keine Möglichkeit, ihm zu Hilfe zu eilen. Allein konnte sie gegen diese Übermacht nichts ausrichten. Der Weg bog um eine Kurve, es gelang Antonia nicht, die Verfolger abzuschütteln. Dann kam erneut eine scharfe Biegung, hinter der ein Ast tief in den Weg hinein hing. Ein zweiter kurzer Blick zurück verriet Antonia, dass sie für einen Augenblick aus dem Sichtfeld der Häscher verschwunden war. Sie griff mit beiden Händen nach dem Ast und wurde mit einem Ruck aus dem Sattel gehoben. Schnell zog sie sich nach oben und hoffte, der Ast würde ihr Gewicht halten. Ihr Pferd galoppierte in gleicher Geschwindigkeit weiter. Schnell kletterte Antonia weiter den Baum hinauf, sein Blätterwerk war noch dicht und dunkelgrün. Einen Augenblick später sprengten die Verfolger unter dem Astwerk durch, und Antonia hörte, wie einer rief: »Da vorne ist sie! Schnell, wir müssen sie einholen!«
Dann sah sie nur noch eine Staubwolke am Horizont. Mit pochendem Herzen lehnte sich Antonia an den Stamm, der selbst hier oben so dick war, dass es zwei Männer gebraucht hätte, ihn zu umfassen. Deshalb waren die Äste so stark und trugen mühelos Antonias Gewicht. Wann würden die Häscher erkennen, dass sie einem herrenlosen Pferd hinterherjagten? Sie konnte es nicht wagen, hier oben zu verweilen, sondern musste sich ein Versteck suchen. Geschickt kletterte Antonia den Baum herunter, sprang vom untersten Ast und landete sicher auf dem Weg. Dort blickte sie sich um. Sie befand sich in einem Wald, links und rechts des Weges bildeten Bäume und Büsche ein undurchdringliches Dickicht. Vorsichtig bog sie die Zweige auseinander, darauf achtend, so wenig Spuren wie möglich zu hinterlassen. Innerhalb kürzester Zeit würden die Soldaten ihre Finte entdecken und zurückkehren, und sie durften nicht feststellen, an welcher Stelle sie ihr Opfer verloren hatten. Langsam zwängte sich Antonia durch die Sträucher, bog die Dornen, die ihre Hände und ihr Gesicht zerkratzten, beiseite und passte auf, dass kein Stück ihrer Kleidung in dem Gestrüpp hängen blieb. Sie wurde angetrieben von ihrer eigenen Angst und von der Sorge um Norman. Was war mit ihm geschehen? Lebte er noch? Wenn ja, würden ihn die Wachen nach London bringen oder ihn gleich hier an Ort und Stelle hinrichten?
Als sich das Buschwerk lichtete, taumelte Antonia erschöpft weiter. Immer wieder blieb sie stehen und lauschte, ob sie bereits verfolgt wurde. Aber es blieb alles still. Irgendwann ließ sie sich erschöpft auf den Waldboden sinken und lehnte den Rücken an einen Baumstamm.
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