Königin für neun Tage
tun, um das Unabänderliche aufzuhalten.
Sie erwachte durch eine Berührung an ihrer Schulter, und ein brennender Schmerz schoss durch ihren Körper.
»Ganz ruhig, es ist gleich vorbei«, flüsterte Norman. »Ich muss die Wunde versorgen.«
Antonia stöhnte, doch gleich darauf legte Norman den ausgewaschenen Verband auf die Verletzung, und der Schmerz ließ nach. Sie öffnete nun ganz die Augen und betrachtete Normans Profil, das nur eine Handbreit von ihrem Gesicht entfernt war. Seine Kiefermuskeln zuckten, während er konzentriert den Stoffstreifen verknotete. Plötzlich wandte er den Kopf und sah ihr direkt in die Augen.
»Norman!« Antonia konnte nicht anders, ihr Körper schien willenlos zu sein, und sie schlang ihren unverletzten Arm um seinen Nacken und zog ihn näher an sich heran.
Norman zögerte keinen Augenblick, dann senkten sich seine Lippen auf Antonias Mund. Erst vorsichtig und zart, dann küsste er sie mit einer wilden Leidenschaft, die dem Bewusstsein entsprang, dem Tod im letzten Moment entronnen zu sein. Nun waren seine Hände überall auf Antonias Körper, und sie drängte sich seinen Zärtlichkeiten entgegen. Schnell löste er den Leinenstreifen über ihrer Brust. Antonia stöhnte laut auf, als erst seine Hände, dann sein Mund eine ihrer Brustwarzen streichelten. Sie vergaß den Schmerz der Wunde, ihre Flucht und alles um sie herum. Die Erde schien sich unter Antonia zu öffnen, und sie war mehr als bereit, sich in die Tiefen fallen zu lassen.
Norman ließ sie so plötzlich los und richtete sich auf, dass Antonia einen Augenblick brauchte, um zu begreifen. Nur langsam kehrte sie in die Realität zurück und sah, wie Norman auf seinen Fersen saß und sie entsetzt anstarrte.
»Wir dürfen das nicht tun!«, keuchte er und fuhr sich durch sein wirres Haar. »Ich wollte das nicht. Es tut mir Leid, deine Situation ausgenutzt zu haben.«
Antonia raffte ihr geöffnetes Hemd zusammen und stemmte sich ebenfalls hoch. Sofort fuhr der Schmerz wie ein glühendes Eisen durch ihren Arm, aber sie ignorierte ihn. Dass Norman sie erneut von sich stieß, schmerzte sie tausendmal mehr. Da sie seinen abweisenden Gesichtsausdruck bemerkte, sagte sie bitter: »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, ich habe mich schließlich dir an den Hals geworfen. Mein Körper mag vielleicht verletzt sein, mein Kopf ist es hingegen nicht. Ich kann nur nicht verstehen, warum du mir nach all den Jahren immer noch Vorwürfe machst, dass ich mich als Junge verkleidet und dich zu einem Kampf gefordert habe. Kannst du denn niemals verzeihen und vergessen, Norman Powderham?«
»Das ist es doch nicht allein, Antonia.« Seine Stimme klang gequält, aber er hatte sie
Antonia
und nicht
Anthony
genannt.
»Woran liegt es dann, dass du mich zuerst küsst, um mich dann im selben Moment wieder von dir zu stoßen?«
Norman sprang auf und lief in dem kleinen Lager im Kreis. Während er sprach, sah er Antonia kein einziges Mal an: »Du bist zwar wie ein Mann erzogen worden, aber in deiner Brust schlägt das Herz einer Frau, sonst würdest du verstehen, was in mir vorgeht. Du bist eine mutige, tapfere und starke Frau, die reitet und kämpft wie ein Mann. Du hast einen Mann getötet, um mein Leben zu retten.
Du
hast
mich
gerettet, verstehst du? Es sollte jedoch die Aufgabe von uns Männern sein, die Frauen vor den Gefahren des Lebens zu beschützen.«
»Aber du hast mich doch auch …«, versuchte Antonia ihn zu unterbrechen, aber er ließ sie nicht weiter zu Wort kommen.
»Verdammt noch mal, ich habe nicht das Gefühl, dass du meinen Schutz brauchst. Dass du mich überhaupt brauchst, denn du meisterst jede Situation auch ohne männlichen Beistand. Die Zeiten des Mittelalters sind vorbei, in denen tapfere Ritter in Minne zarten und schutzbedürftigen Frauen ergeben waren. Was machen wir Männer heute noch? Wir kämpfen auf organisierten Turnieren, immer darauf bedacht, den Gegner nicht zu verletzen. Sogar aus den Staatsgeschäften werden wir Männer verdrängt. Auf Englands Thron sitzt eine Frau, und ihr wird, sofern Mary ohne Erben stirbt, eine weitere Frau folgen. Die Frauen können lesen, schreiben, rechnen, sie lesen Latein und griechische Philosophen und diskutieren mit den Männern, wie man die Welt verbessern kann.« Abrupt hielt er inne und lehnte sich an einen Baumstamm.
Fassungslos hatte Antonia ihm zugehört, dann sagte sie leise: »Das ist also dein Problem, Norman? Dass ich die lateinische Sprache beherrsche und ein wenig Griechisch
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