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Königin für neun Tage

Königin für neun Tage

Titel: Königin für neun Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
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kann? Du vergisst, dass diese Bildung den Frauen von Stand vorbehalten ist. Ein Großteil der Bevölkerung kann weder lesen noch schreiben, egal ob Frau oder Mann. Norman, du hast es erkannt – wir leben nicht mehr im Mittelalter. Ist deine Einstellung nicht sehr egoistisch und altmodisch?«
»Ich wusste, dass du mich nicht verstehst.« Wahrscheinlich verstehe ich mich selbst nicht, dachte Norman und fuhr fort: »Was vorhin beinahe geschehen wäre, darf niemals wieder passieren. Ich werde mich besser unter Kontrolle haben.«
Jedes seiner Worte fuhr Antonia wie ein spitzer Dolch ins Herz, aber sie würde sich nicht anmerken lassen, was sie empfand, sie musste sich einen letzten Rest Stolz bewahren.
»Es wird wohl das Beste sein, wenn wir uns trennen, wenn wir Schottland erreicht haben. Vielleicht kann ich irgendwo eine Anstellung als Magd finden.«
Norman runzelte die Stirn. »Ich habe keine Vorstellung, wer und was uns in Schottland erwartet. Mein Großonkel ist ein Laird, mir ist aber nichts über sein Leben bekannt. Die momentane Situation zwischen uns muss dich sehr belasten, aber wir sollten abwarten, bis wir unser Ziel erreicht haben. Bis dahin sollten wir jedoch etwas Abstand wahren.«
Antonia erhob sich langsam und wickelte sich in eine Decke, ganz so, als wollte sie nicht nur ihren Körper, sondern auch ihre Seele vor Norman verstecken.
»Ich werde mich dir niemals wieder an den Hals werfen, Norman Powderham. Es wird kein zweites Mal geschehen.« Eher sterbe ich, dachte Antonia und ging ein paar Schritte in den Wald hinein, um allein zu sein. Einen Augenblick länger in Normans Nähe, und sie wäre in Tränen ausgebrochen. In diesem Moment schwor sich Antonia, dass sie niemals wieder weinen und keinem Mann auf dieser Welt ihr Vertrauen schenken würde.

15. KAPITEL
    Es schneite in dichten Flocken, als zwei zerlumpte Gestalten an einer seichten Stelle den Tweed durchwateten. Das Wasser des Flusses, der die natürliche Grenze zwischen England und Schottland bildete, war eiskalt, aber sie fanden nirgends einen Steg oder eine Brücke. Am anderen Ufer entfachten sie ein Feuer, hüllten sich in Decken und trockneten die Fetzen, die von ihren Kleidern übrig geblieben war, über den Flammen. Die anstrengenden Wochen hatten in ihren Gesichtern Spuren hinterlassen. Normans Wangen und Kinn waren von einem dichten, struppigen Bart bedeckt, denn er hatte keine Zeit mehr an eine Rasur verschwendet. Antonias Haare lockten sich bereits wieder im Nacken. Sie hatten auf ihrer Flucht sämtliche Städte, Marktflecken und Dörfer gemieden und sich von Wild, Fischen und ausgegrabenen Wurzeln ernährt. Manchmal fanden sie eine Höhle zum Übernachten, meistens schliefen sie jedoch unter freiem Himmel. Je weiter sie nach Norden kamen, desto weniger Menschen waren unterwegs. Soldaten hatten sie seit Tagen keine mehr gesehen, dennoch waren sie wachsam geblieben.
»Sind wir jetzt in Sicherheit?«, fragte Antonia, während sie einen Fisch ausnahm.
Schottland! Sie hatten es tatsächlich geschafft, das Land zu erreichen, wohin der Arm der Königin nicht mehr reichte.
»Vor den Häschern der englischen Krone auf jeden Fall«, antwortete Norman. »Es liegt aber noch ein langer Weg bis Peebles vor uns.«
Seiner Kenntnis nach lag der Besitz des Großonkels in der Nähe eines Marktfleckens in den Lowlands. Dazu mussten sie jedoch die Berge überqueren, in Anbetracht des nahen Wintereinbruches kein leichtes Unterfangen.
»Jetzt sind wir so weit gekommen, dann schaffen wir das letzte Stück auch noch«, sagte Antonia überzeugt und sprach damit Normans Gedanken aus. In den letzten Wochen hatte er allen Grund gehabt, Antonia zu bewundern. Nie hatte sie über die karge Kost gemurrt oder gejammert, wenn der Regen sie bis auf die Haut durchnässte. Das wenige Geld, das geblieben war, reichte nicht, ein neues Ross zu kaufen, darum war es notwendig, immer wieder einen Tag Pause einzulegen, denn das Pferd musste sie beide tragen. Norman tätschelte den Hals des treuen Tieres, das für sie beide längst ein lieber Kamerad geworden war.
Zwei Tage später erreichten sie einen kleinen See inmitten des Berglandes. An dessen Ufer stand eine verfallene Köhlerhütte, und zu Normans Freude befanden sich darin noch Reste von Torf. Mit geschickten Handgriffen gelang es ihm, ein Feuer zu entzünden. Obwohl das Dach undicht war und der geschmolzene Schnee an einigen Stellen auf den gestampften Lehmboden tropfte, fühlte sich Antonia so glücklich wie schon lange

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