Königin für neun Tage
sie vorsichtig ins Gras und riss ihr Hemd entzwei. Antonia stöhnte laut auf, und Norman kam nicht umhin, sie dafür zu bewundern, dass sie mit dieser Verletzung die ganzen letzten Stunden geritten war. Zum Glück hatte sie nicht zu viel Blut verloren. Es bestand allerdings die Gefahr eines erneuten Blutflusses, wenn er den Pfeil herauszog, aber es blieb ihm keine andere Wahl.
»Ich muss dir jetzt wehtun«, flüsterte er und unterdrückte den Impuls, Antonia das schweißnasse Haar aus der Stirn zu streichen. Norman zog sein Hemd aus und riss daraus zwei Streifen, wobei er einen zu einer festen Kugel rollte. Dann fasste er den Pfeil ganz unten am Schaft, hielt mit der anderen Hand Antonias Oberarm fest und riss mit einem Ruck den Pfeil aus dem Fleisch. Sofort begann das Blut zu sprudeln. Norman presste die Stoffkugel auf die Wunde und band sie schnell mit dem anderen Streifen fest um den Arm. Dann sah er in Antonias wachsbleiches Gesicht. Sie hatte weder geschrien noch die Besinnung verloren.
»Ich komme gleich wieder«, sagte er und drückte kurz ihre linke Hand. Im nahen Fluss tränkte er den Rest seines Hemdes mit Wasser und legte den kühlen Stoff auf Antonias Stirn.
»Tut es sehr weh?«, fragte er und wusste sogleich, was er für Unsinn geredet hatte.
Antonias Lippen kräuselten sich, langsam kehrte die Farbe in ihre Wangen zurück. »Nur wenn ich lache.«
Norman betrachtete seinen provisorischen Verband und stellte erleichtert fest, dass sich der Stoff kaum noch rot färbte. Jetzt war es wichtig, die Wunde sauber zu halten, damit keine Entzündung entstand. Sein Blick wanderte weiter nach oben und blieb an der fingerbreiten, weißen Narbe an ihrer Schulter hängen. Sanft fuhr er mit der Hand darüber.
»Es tut mir Leid. Ich wollte dich damals nicht verletzen.«
»Das weiß ich. Schließlich war es auch meine Schuld, ich hätte dich niemals herausfordern dürfen«, flüsterte Antonia, »schon gar nicht als Frau. Kannst du mir das jemals verzeihen, Norman?«
»Ich habe es dir schon lange verziehen«, antwortete Norman und wusste in dem Moment, dass er die Wahrheit sprach. Jahrelang hatte er sich eingeredet, mit der Schande, von einer Frau im wahrsten Sinne des Wortes aufs Kreuz gelegt worden zu sein, nicht zurechtkommen zu können, doch jetzt merkte er, dass es nicht mehr wichtig war. »Versuch jetzt, ein wenig zu schlafen, Antonia«, sagte er weich. »Hier sind wir sicher, aber ich werde trotzdem Wache halten. Heute hast du mir zum zweiten Mal das Leben gerettet. Später werden wir über alles reden.«
Antonia nickte, zum Sprechen war sie zu schwach. Augenblicke später war sie eingeschlafen.
Sie rasteten den ganzen Tag und die folgende Nacht am Flussufer. Obwohl er selbst müde war, beobachtete Norman wachsam die Umgebung, aber kein Mensch ließ sich blicken. Offenbar war es ihnen gelungen, John und seine Männer abzuschütteln. Gegen Abend erwachte Antonia sichtlich erholt. Die Wunde hatte aufgehört zu bluten. Norman wusch sie noch einmal aus und verband sie mit dem restlichen Stoff seines Hemdes. Zum Glück hatte Antonia sein Pferd im Dorf befreit, denn auf ihm befanden sich der größte Teil des Proviants und auch Normans Waffen. Ihr eigenes Pferd hatte Antonia nicht wieder gefunden. Norman lachte, als sie ihm erzählte, wie sie sich mit dem Sprung auf den Baum gerettet hatte.
»Warum bist du zurückgekehrt, um mich zu befreien, und hast dich damit erneut in Gefahr begeben?«, fragte Norman.
Antonias Augen weiteten sich ungläubig. »Du hast mich mitten in London vor den Augen des Henkers gerettet, und da denkst du wirklich, ich hätte dich einer Hand voll Soldaten überlassen?«
»Nun, es waren schon mehr als nur eine Hand voll«, sagte Norman und berichtete, was er von John erfahren hatte.
»Dabei war John damals in Hampton Court recht freundlich zu mir. Was für ein Pech, dass wir ausgerechnet auf ihn treffen mussten. Ich habe ihn immer für nicht sonderlich intelligent gehalten, aber er verfügt offenbar über ein ausgezeichnetes Gedächtnis.«
Norman nickte grimmig. »Jetzt können wir nur hoffen, dass wir nicht erneut auf ihn oder andere, die sich an mich erinnern, treffen. Ich wusste nicht, dass meine Person so wichtig ist, dass ich im ganzen Land gesucht werde.«
»Hast du etwas über Jane erfahren?«, wechselte Antonia das Thema.
Norman verneinte. »Sie wird wohl immer noch im Tower eingeschlossen sein. Das arme Mädchen!«
Antonia richtete sich auf, ohne auf den Schmerz zu achten, der durch ihren
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