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Königin für neun Tage

Königin für neun Tage

Titel: Königin für neun Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
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guter Lehrer war. Seinen Augen entging nichts, und seine derben Anweisungen und Befehle dienten immer dazu, die Kampftechniken der Jungen zu verbessern. Auch wenn Master Rowse ihr menschlich unsympathisch war, zollte sie ihm insgeheim Anerkennung. Antonia musste nun die benutzten Schwerter reinigen und polieren. Dabei saß sie im Schatten einer weit ausladenden Eiche und fand es ganz angenehm, obwohl sie sich danach sehnte, selbst auf dem Kampfplatz zu sein. Fasziniert beobachtete sie, wie einige Knappen sich im Lanzenreiten übten. Die schweren und langen Lanzen unter die Arme geklemmt, ritten sie in hohem Tempo auf einen Baum zu, um die an den Ästen aufgehängten kleinen Ringe aufzuspießen. Immer wieder kam es dabei zu Stürzen, aber niemand verletzte sich ernsthaft, denn Master Rowse hatte ihnen beigebracht, wie man vom Pferd fällt, ohne Schaden zu nehmen.
Diesen Abend gab es kein Bankett, und das Abendessen fiel recht karg aus. Antonia war jedoch so müde, dass sie keinen Hunger verspürte. Kaum hatte sie sich auf ihr Strohlager gelegt, schlief sie auch schon ein.
In den folgenden zwei Tagen änderte sich an ihrem Tagesablauf wenig. Antonia wagte nicht, Master Rowse zu fragen, wann auch sie sich im Kämpfen üben durfte. Antonia wusste, dass sie irgendwann eine Entscheidung treffen musste, wusste aber noch nicht, was sie machen sollte. Während sie an ihrem dritten Tag einen prachtvollen dunkelbraunen Hengst striegelte, durchfuhr ein heftiger Schmerz ihren Unterleib. Sie presste beide Hände auf den Bauch und stöhnte leise auf. Zum Glück hatte der Stallbursche nichts gehört. Antonia holte tief Luft, bis die erste Schmerzwelle verebbt war, dabei überlegte sie fieberhaft, wo sie am besten die Tücher vorlegen konnte. Sicherheitshalber trug sie seit gestern eines in ihrer Tasche mit sich. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, striegelte sie das Pferd in aller Ruhe fertig. Damit war der Stalldienst für sie erledigt. Im Hof sah sich Antonia unsicher um. Allein zu sein war in Hampton Court beinahe unmöglich. Die Abtritte hinter den Stallungen waren nur mit einfachen Latten voneinander getrennt und boten keine Privatsphäre. Antonia ging in den Schlafraum zurück, fand diesen aber auch nicht leer vor. Sie seufzte, dann wandte sie sich in Richtung der großen Küche. Über einen Teil des ehemaligen Kreuzganges gelangte sie in die große Halle. Überall waren Menschen, die geschäftig umherwuselten. Endlich gelangte Antonia in einen Gang, in dem sich niemand aufhielt. Die Wände waren mit Porträts und bestickten Teppichen ausgestattet, offenbar hatte sie sich in die herrschaftlichen Räume verirrt. Antonia wusste, dass sie kein Recht hatte, sich hier aufzuhalten, aber das Ziehen in ihrem Unterleib wurde immer stärker. Plötzlich hörte sie leichte, trippelnde Schritte vor sich, gleich würde jemand um die Ecke biegen und sie fragen, was sie in diesem Teil des Palastes zu suchen hätte. Schnell öffnete sie die nächstgelegene Tür und huschte hinein. Zum Glück fand sie das Zimmer leer vor. Der Raum war nicht besonders groß, aber prachtvoll und gemütlich eingerichtet. Zu Antonias Erleichterung befand sich links neben dem Bett ein kleines Kabinett, ein Zeichen, dass es das Zimmer einer hochgestellten Person war. Der Einbau von Abtritten direkt in die jeweiligen Schlafräume wurde immer beliebter. Zwar verwendeten die meisten immer noch das Nachtgeschirr oder die außen gelegenen Abtritte, aber Hampton Court verfügte über zahlreiche dieser kleinen Kabinette. Antonia huschte hinein, öffnete ihre Hose und legte sich das Tuch zwischen die Beine. Später würde sie einen Platz finden müssen, um es auszuwaschen. Vielleicht würde es ihr gelingen, am Abend zur Themse hinunterzugehen. Die Kinderfrau Ellen hatte ihr erzählt, dass Männer keine solchen
Probleme
hätten, und Antonia wünschte sich erneut, wirklich ein Junge zu sein. Sie ging durch das Zimmer zurück zur Tür. Genau in dem Augeblick, als sie die Tür öffnen wollte, wurde die Klinke von außen heruntergedrückt und die Tür schwang auf. Es war zu spät, sich zu verstecken! Durch den Türspalt zwängte sich ein kleines Mädchen, kaum älter als acht, neun Jahre. Überrascht blickte sie Antonia an, die befürchtete, die Kleine würde gleich laut zu schreien anfangen. Aber das Mädchen musterte den Eindringling aus großen, hellen Augen, in denen nichts Kindliches lag. Ihr helles, sandfarbenes Haar wurde von einer strengen Haube aus ihrer hohen Stirn

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