Königin für neun Tage
offenbaren, zum Scheitern verurteilt war. Es würde ihr also nichts anderes übrig bleiben, als ihre Rolle als Anthony Fenton weiterzuspielen.
Sie verzichtete darauf, Grüße ihrer Mutter zu bestellen, die Lord Thomas ohnehin nicht interessiert hätten. Als wäre sie nicht vorhanden, widmete er sich wieder seinem Weinpokal und schenkte ihr keinen weiteren Blick.
Sir Norman klopfte ihr leicht auf die Schulter, gebot ihr, ihm zu folgen, und führte sie zu den Bänken der Knappen und niedrigen Ritterschaft. »Wenn ich dir einen Rat geben darf, Kleiner: Halt dich von deinem Vater fern, triff ihn nur, wenn er dich dazu auffordert. Du hast sicher bemerkt, dass er nicht der Mensch ist, der auf ein harmonisches Familienleben Wert legt.«
Der Sarkasmus in seiner Stimme war Labsal in Antonias Ohren. Mochte Sir Norman sie auch immer wieder verletzen – wie gerade eben mit der Anrede
Kleiner
–, so las sie jetzt in seinen Augen einen Funken Anteilnahme. Sie sah ihm nach, als er mit ausholenden Schritten durch die Halle zu seinem Platz ging.
Sir Norman verstand sich selbst nicht. Am liebsten hätte er Anthony gerade eben in den Arm nehmen und trösten wollen, so sehr rührte ihn der traurige Ausdruck in den großen dunklen Augen. Was war nur los mit ihm? Mylord Fenton war sein Förderer und Gönner, ohne ihn würde er sich jetzt vielleicht irgendwo als Söldner verdingen müssen. Trotzdem konnte er Fentons kaltes, herzloses Verhalten gegenüber seinem einzigen Sohn nicht gutheißen. Norman dachte kurz darüber nach, ob er wohl eines Tages auch einen Sohn haben würde. Nur setzte das die Notwendigkeit einer Ehefrau voraus, zumindest, wenn sein Sohn legitim sein sollte. Norman hatte nichts gegen Frauen. Sie boten einen angenehmen Zeitvertreib und Sinnesfreuden, wenn ihm daran gelegen war. Manche waren dafür mehr, andere weniger geeignet, doch weder die schönste noch die unterhaltsamste dieser Damen hatte in ihm auch nur das geringste Verlangen nach einer dauerhaften Verbindung wecken können. Allein der Gedanke, für immer an eine einzige Frau gefesselt zu sein, löste eine Beklemmung in ihm aus, als wenn eine Schlinge um seinen Hals gelegt worden wäre. So gab es kein weibliches Wesen, von dem er sich vorstellen könnte, ihr sein Herz und seine Hand anzubieten.
Antonia fand keine Freude mehr an dem Fest. Sie kostete nur wenig von den reichhaltigen Speisen und schenkte den Gauklern und Musikanten kaum Aufmerksamkeit. Neben ihr klatschte John begeistert in die Hände, als ein Feuerschlucker seine Kunststücke vorführte, Antonia jedoch wäre am liebsten aufgestanden und hätte die Halle verlassen. Wie gerne wäre sie jetzt ein Weilchen allein, um über alles nachzudenken. Sie zuckte erschrocken zusammen, als plötzlich ein verwachsener Narr mit derben Gesichtszügen, an dessen Kostüm zahlreiche Schellen klingelten, sie am Arm berührte. Als sie aufsah, blickte sie in das Gesicht eines erwachsenen Mannes, der jedoch nur die Größe und Statur eines ungefähr siebenjährigen Kindes hatte.
»Warum so nachdenklich?«, griente der Narr sie an. »Der König möchte, dass heute alle vergnügt und munter sind.«
»Mach, dass du verschwindest!«, kam John ihr zur Hilfe und jagte den Narren mit einer Handbewegung fort. »Das war der Oberhofnarr Will Somers, eine schrecklich aufdringliche Kreatur. Aber der König hat ihn ins Herz geschlossen, er darf ihn sogar respektlos
Harry
nennen. Du siehst aber wirklich aus, als hättest du gerade einen besonders sauren Apfel verspeist. Was ist denn los?«
»Ach, lass mich in Ruhe«, fuhr Antonia ihn an. Gleich darauf taten ihr die groben Worte Leid. Sie sehnte sich danach, ihre ganze Enttäuschung und ihre Wut im Kampf auszutoben. Lifton hatte immer gemeint, dass sie besonders gut focht, wenn ihr eine Laus über die Leber gelaufen war, wie er sich ausdrückte. Darum fragte sie etwas freundlicher: »Werden wir morgen Waffenübungen machen?«
John grinste hämisch. »Wir Älteren sicher, aber du wirst zuerst lernen müssen, wie man die Waffen putzt und pflegt. Freu dich auch nicht so bald auf Reitunterricht! Auch hier heißt es, zuerst Stalldienst zu schieben.«
»Aber ich bin doch hier, um ein Ritter zu werden!«, begehrte Antonia auf.
Master Rowse bedachte sie mit einem ärgerlichen Blick. »Du bist in Hampton Court, um Knappe zu werden«, belehrte er sie von oben herab. »Ritter kann man nicht
werden
, diese Würde wird einem für besonders mutige Taten verliehen. So wie du aussiehst, wirst du
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