Königin für neun Tage
dieses Privileg wohl niemals erreichen.«
Antonia war froh, als Master Rowse seinen Schützlingen das Zeichen zum Aufbruch gab. Auch der König hatte seinen Platz bereits verlassen. Nach der Schlemmerei war es ihm nicht einmal mit der Hilfe der Männer möglich gewesen, zu Fuß in seine Gemächer zu gelangen. So wurde der große Tragestuhl gebracht, in dem er nun immer häufiger transportiert werden musste.
Zum Glück war das Stroh ihres Lagers trocken und sauber, und Antonia wickelte sich fest in die Decke ein. Von der Reise bereits daran gewöhnt, nachts mit anderen Menschen einen Raum zu teilen, lauschte sie auf die Geräusche ihrer Schlafgenossen. Die Gemeinschaft der angehenden Knappen hier in Hampton Court schien so eng zu sein, dass ein Privatleben nicht möglich war. Plötzlich beschlich sie ein Gefühl von Panik. In ein, zwei Tagen wäre seit ihren letzten »Beschwerden« wieder ein Monat vergangen. Ihrem Vater konnte sie sich nicht offenbaren. Die Zweifel, wie lange sie ihr Geheimnis würde wahren können, ließen sie keinen Schlaf finden. Leise stand sie auf und tappte in völliger Finsternis zur Tür. Dabei stolperte sie über einen Schuh und stieß sich schmerzhaft das Schienbein an einem Bett. Der darin liegende Schläfer grunzte jedoch nur unwillig und schlief ungestört weiter. Zum Glück war die massive Eichentür nicht verschlossen und knarrte auch nicht, als Antonia sie aufzog. Draußen atmete sie tief die frische Nachtluft ein. Grillen zirpten, ansonsten war alles ruhig. Ohne auf den Weg zu achten, ging Antonia durch verschiedene Gärten, bis sie schließlich auf einen kleinen Weiher stieß. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken wild durcheinander, so dass sie die Frau auf der Bank erst bemerkte, als sie direkt vor ihr stand. In der hellen Vollmondnacht erkannte Antonia, dass ihr Kopf und ihr Gesicht vollständig von der Kapuze ihres dunklen Umhangs verhüllt waren.
»Verzeiht«, murmelte Antonia schnell und wollte sich zurückziehen, doch die Dame winkte ihr, sich zu setzen.
»Es ist zum Schlafen zu warm und stickig, nicht wahr? Wandelst du auch deshalb durch die Gärten?«
Ihre Stimme war leise, ihre Ausdrucksweise verriet Antonia jedoch, dass sie eine Adlige sein musste. Darum sagte sie: »Ich wollte Euch nicht stören, Mylady.«
»Du störst mich nicht, mein Junge. Gehörst du zu der Ausbildungsstätte für Knappen?« Als Antonia bejahte, fuhr sie fort: »Wie gefällt es dir hier? Ich hoffe, ihr lernt alles, um eines Tages das Land ausreichend verteidigen zu können.«
»Ich bin heute erst angekommen, Mylady. Mein Vater, Lord Fenton, ließ mich rufen, und ich diene Sir Norman Powderham als Knappe.«
»Powderham? Der Name sagt mir nichts. So, so, du bist also der Junge von Mylord Fenton. Nun, ich wünsche dir viel Glück und ein gutes Leben.« Sie erhob sich. »Ich muss jetzt gehen, mein Gatte erwartet mich.«
Wie ein lautloser Schatten verschwand sie zwischen den hohen Taxushecken. Wer die Dame wohl war? Sicher eine Lady von Stand, eine Hofdame vielleicht oder die Frau eines hohen Hofbeamten. Immerhin hatte sie Antonia nicht gescholten, dass sie mitten in der Nacht in den Gärten des Palastes umherschlich. Sie beschloss, in ihr Quartier zurückzukehren, schließlich lag morgen ein anstrengender Tag vor ihr.
Hatte Antonia geglaubt, John habe übertrieben, so wurde sie am nächsten Morgen schnell eines Besseren belehrt. Bei Sonnenaufgang riss ein lauter Gong die Jungen aus dem Schlaf. Antonia rieb sich müde die Augen und sammelte die Strohhalme von der Kleidung. Trotz des unbequemen Nachtlagers hatte sie schließlich doch noch tief und fest geschlafen. Zum Frühstück gab es nur trockenes Brot und verdünntes Bier.
Master Rowse ließ ihnen kaum Zeit, das karge Mahl hinunterzuschlingen. »Macht schon, ihr faulen Burschen! Ihr habt gestern Abend Gelegenheit gehabt, eure Bäuche voll zu schlagen. Das gibt es nicht jeden Tag, sonst werdet ihr nur dick und träge.«
So wie der König, fügte Antonia in Gedanken hinzu, hütete jedoch ihre Zunge.
Master Rowse schickte sie tatsächlich zuerst zu den Pferdeställen, wo ein Stallbursche sie zum Ausmisten anwies. Da sie dies zu Hause auch regelmäßig getan hatte, hatte sie diese Aufgabe zur Zufriedenheit des Burschen schnell erledigt. Anschließend durfte Antonia in den Hof zurückkehren, aber nicht an den Kampfspielen der älteren Jungen teilnehmen. Sie übten sich im Schwert-und Faustkampf, und Antonia beobachtete, dass Master Rowse ein strenger, aber
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