Königin für neun Tage
bedeutete ihr und zwei anderen Jungen, den Platz zu betreten. Aus den Augenwinkeln erkannte sie Sir Norman, der direkt neben Lord Fenton ein paar Reihen hinter dem König saß. Sie verneigten sich hoheitsvoll vor dem Prinzen, dann wurden ihnen ebenfalls Schwerter ausgehändigt. Antonia wurde als zweiter Kämpfer benannt. Ihr Schwert war alt, die Schneide stumpf und wies Rostflecke auf. Nein, mit dieser Waffe würde sie den Prinzen gewiss nicht ernsthaft verletzen können. Master Rowse hatte ihr eingeschärft, lediglich die Schläge des Prinzen zu parieren, keinesfalls jedoch selbst anzugreifen. Nach gegebener Zeit hatte sie sich dann zu ergeben und vor dem Prinzen auf zu Knie zu fallen. Sie beobachtete den Jungen, der sich nun gegen die Angriffe des Prinzen wehrte und erkannte, dass Prinz Edward trotz seiner Jugend und schmächtigen Gestalt die Waffe elegant und sicher zu führen verstand. Sie lächelte und dachte, wie man sich doch täuschen konnte. Auch ihr traute man wegen ihrer zierlichen Figur nicht viel zu, dennoch würde sie es mit einem größeren und stärkeren Kämpfer aufnehmen. Ein schmerzhafter Rippenstoß nahm ihr den Atem.
»Was hast du zu grinsen?«, fuhr Master Rowse sie an. »Du bist dran. Na los, geh und denke dran, was ich dir gesagt habe!«
Antonia stolperte auf den Platz und stand dem Prinzen gegenüber. Er musterte sie abschätzend von oben bis unten und kam anscheinend zu dem Ergebnis, dass sie trotz ihrer Größe keinen Grund zur Furcht darstellte. Dann begann er mit dem Fechtkampf. Antonia konnte die Schläge mühelos abwehren, kein einziger Streich traf sie. Es war nicht mehr als ein Kinderspiel, sie kam nicht einmal ins Schwitzen. Kurz überlegte sie, dass es ein Leichtes wäre, dem Prinzen des Schwert aus der Hand zu schlagen, und fühlte sich versucht, es zu tun. Und als der Prinz einen Angriff auf ihren Schwertarm unternahm, parierte sie so geschwind, dass ihre Klinge hart auf seinen Griff prallte. Scheppernd fiel die Waffe in den Sand. Um den Platz herum verstummten sämtliche Geräusche, es war, als hielten die Menschen den Atem an. Prinz Edward starrte konsterniert auf sein Schwert, dann auf seine Hand. Für einen Moment befürchtete Antonia, den Prinzen verletzt zu haben. Dann aber sah sie, dass zwar sein Hemd am Handgelenk aufgeschlitzt, die rosige Haut darunter jedoch unverletzt geblieben war. Schnell bückte sie sich und hob das königliche Schwert auf. Mit einer Verbeugung reichte sie es dem Prinzen.
»Verzeiht, Eure Hoheit. Wenn Ihr möchtet, können wir fortfahren.«
Prinz Edward nahm die Waffe jedoch nicht an. Als Antonia sich wieder aufrichtete, sah sie Tränen an seinen Wimpern glitzern, und tiefes Mitleid durchflutete sie. Der einzige legitime Sohn des Königs war, weil stets kränklich, seit seiner Geburt verhätschelt worden. Jeder Wunsch wurde ihm von den Augen abgelesen, und er war es gewohnt, dass alles nach seinem Kopf ging. Von einem einfachen Knappen das Schwert aus den Händen geschlagen zu bekommen bedeutete für ihn eine unsägliche Blamage. Noch dazu vor den Augen seines Vaters und des gesamten Hofstaats.
Ohne ein weiteres Wort wandte sich der Prinz von ihr ab. Sofort war Edward Seymour an seiner Seite und führte ihn vom Platz. Auf den Rängen erhob sich Gemurmel. Antonia wagte einen Blick zum König, der seinen Sohn grimmig musterte. Dann sah sie das kleine Mädchen, in dessen Zimmer sie am Vortag geraten war. Sie stand hinter der Königin, die Augen angstvoll geweitet. Auch sie ließ keinen Blick von dem Prinzen.
Master Rowse packte sie am Ärmel und zerrte sie an den Rand. »Was fällt dir ein? Keiner darf es wagen, den Prinzen zu entwaffnen! Mein Gott, mein Gott, das kann Folgen haben …«
Antonia blieb nichts anderes übrig, als hinter dem Master zurück in ihr Quartier zu gehen.
John klopfte ihr auf die Schulter. »Nun lass mal den Kopf nicht hängen, Kleiner, es war nicht deine Schuld. Vor einigen Wochen hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, gegen den Prinzen zu kämpfen. Es kostet sehr viel Kraft und Konzentration, ihn
nicht
zu besiegen, aber so ist es nun mal bei Königen. Unsereins wird zwar als Gegner benötigt, aber Seine Hoheit muss stets die Oberhand behalten.«
»Ich habe es nicht mit Absicht gemacht«, stammelte Antonia. Sie hatte doch nur ganz leicht des Prinzen Schwert touchiert und nicht ahnen können, dass er sich das Heft so schnell würde aus der Hand nehmen lassen.
»Komm jetzt, wir wollen essen. Es heißt, dass der Koch uns heute in
Weitere Kostenlose Bücher