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Königin für neun Tage

Königin für neun Tage

Titel: Königin für neun Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
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Edward auch nur ein paar Tage allein, könnte es ja passieren, dass ein anderer dem König ein paar nette Worte ins Öhrchen flüstern und ihn gegen meinen Vater aufbringen würde«, hatte Jane den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie hütete sich jedoch davor, mit jemand anderem als mit Antonia über ihre Gedanken zu sprechen.
Zu Antonias Freude hatte Jane ihre Abneigung gegen Pferde überwunden. Sie war zwar weit davon entfernt, die Tiere so zu lieben wie Antonia, aber immerhin hatte sich Jane zu einer guten Reiterin entwickelt. Die Umgebung von Bradgate Park war lieblich und sicher, allerdings wurde ihnen auch hier nicht gestattet, ohne Reitknecht auszureiten.
    Der November war kalt, grau und düster. Mit untergeschlagenen Beinen kauerte Jane in der Fensternische. Wenn sie zu lange bei Kerzenlicht las, begannen ihre Augen zu tränen, deshalb hatte sie sich in eine Wolldecke gewickelt und sich ans Fenster gesetzt. Ihre Eltern und Schwestern befanden sich übers Wochenende bei Nachbarn zur Jagd, Antonia war trotz des schlechten Wetters ausgeritten.
Konzentriert beugte sich Jane über ihr Buch und sah erst auf, als es zum zweiten Mal nachhaltig an der Tür klopfte. »Ja?«
Ein Mann mit einem braunen, pelzverbrämten Umhang und ebensolchem Barett trat ein. »Mylady Jane …« Er neigte den Kopf.
Rasch stand Jane von dem Sims auf, warf die Wolldecke fort und strich sich hastig die Röcke glatt. »Master Ascham! Wie schön, Euch zu sehen! Bringt Ihr Nachrichten von Lady Elizabeth?«
»Eurer Cousine geht es gut, Mylady. Ich soll Euch aufs Herzlichste grüßen. Ihr seid nicht mit den anderen zur Jagd geritten?«
»Nein, ich mache mir nichts aus dem sinnlosen Abschlachten hilfloser Tiere, die keine Chance haben, wenn Hunderte von Hunden sie hetzen.« Jane trat auf ihren ehemaligen Lehrer zu und ergriff spontan seine Hand. Sie freute sich ehrlich, Roger Ascham zu sehen. »Was führt Euch nach Bradgate, Master Ascham?«
Er klopfte auf seine Tasche, die ihm an einem Lederriemen an der Hüfte hing. »Ich bringe Briefe von Lady Elizabeth für Euren Vater. Da ich ihn nun nicht persönlich antreffe, kann ich sie getrost in Eure Hände geben.« Ascham trat ans Fenster, sah das aufgeschlagene Buch und nahm es zur Hand. »Hm … Plato … auf Griechisch. Keine einfache Lektüre, Mylady Jane.«
»Glaubt Ihr, ich kann es nicht lesen?«, begehrte Jane auf. Sie nahm ihm das Buch aus der Hand und begann vorzulesen: »›Die Seele macht sich davon, in eine Welt, die unsichtbar ist. Aber dort angekommen, ist sie sich der Seligkeit gewiss und wohnt für immer im Paradies.‹«
Ascham nickte anerkennend. »So erzählt uns Plato in seinen Schriften über den Tod von Sokrates, der verurteilt wurde wegen Verbreitung schädlicher Lehren, die die Jugend verderben könnten. Was folgert Ihr daraus, Mylady Jane?‹«
»Dass jeder Mensch seinem Glauben treu ergeben sein und wenn nötig auch sein Leben dafür einsetzen sollte«, antwortete Jane fest.
Ascham war erstaunt über die ernsten Worte des jungen Mädchens. »Und wofür würdet Ihr sterben?«
»Für die Ausrottung des Aberglaubens in diesem Land.« Jane trat zum Tisch, nahm ein Stück Brot aus einer Schale und brach es in der Mitte entzwei. »Es ist Aberglaube zu sagen, dies sei der Leib Christi. Wie kann ein Stück Brot der Körper unseres Herrn sein, wenn ein ganz normaler Bäcker es gebacken hat?«
Jane hatte sich zwar laienhaft ausgedrückt, aber Roger Ascham erkannte, wie ernst es ihr mit diesen Worten war.
»Ich habe davon gehört, wie Ihr dies in Anwesenheit der Hofdame Lady Mary in der Kapelle zu Westminster geäußert habt. Seitdem soll sich Euer Verhältnis sehr verschlechtert haben.«
»Verschlechtert ist zu wenig gesagt. Unsere vorher schon sehr seltenen Kontakte und Briefe sind vollständig zum Erliegen gekommen. Dennoch, Master Ascham, kann ich den Katholizismus in diesem Land nicht billigen.«
»Ihr seid sehr jung für solche Gedanken, Lady Jane. Wer hat Euch das in den Kopf gesetzt?«
Trotzig reckte Jane ihr Kinn nach vorne. »Glaubt Ihr nicht, dass ich alt genug bin, eigene Überlegungen anzustellen? Der König hat sich zum Protestantismus bekannt, die Messen werden im ganzen Land in der Sprache gelesen, die alle Menschen, auch das einfache Volk, verstehen können. Was ist das für eine Lehre, deren Worte nur denjenigen, die des Lateinischen mächtig sind, vorbehalten sein sollen?«
Ihre angeregte Diskussion wurde durch laute Stimmen in der Halle unterbrochen. Einen Augenblick

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