Königin für neun Tage
auch erfahrener. Da Jane jedoch spürte, dass das Thema Kinderkriegen eine etwas peinliche Angelegenheit war, hatte sie sich bisher gescheut, Antonia direkt danach zu fragen. Egal, was zwischen Mann und Frau passierte – die Vorstellung, Edwards Frau und die Mutter seiner Kinder zu sein, wärmte Jane das Herz und machte sie glücklich.
Da sich über die Weihnachtstage jeder, der in England etwas auf sich hielt, am Hof einfand, war der Palast hoffnungslos überfüllt. In allen Räumen drängten sich Menschen, und Jane war froh, dass sie und Antonia ein Zimmer teilen konnten. Beim Bankett jedoch saß die Freundin in hinterer Reihe, denn die Sitzordnung folgte einer strengen Hierarchie. Von den köstlichen Speisen nahm Jane wenig, und sie nippte nur an dem schweren, dunklen Wein.
Nach endlosen Stunden des Essens führten Gaukler und Narren ihre Kunststücke vor, dann klatschte Lord Dudley in die Hände und rief: »Und nun Tanzmusik!«
Die Spielleute auf der Musikantengalerie ließen ihre Instrument erklingen. Mit großen Schritten kam König Edward durch die Halle auf Jane zu. Aller Augen waren auf ihn gerichtet, als er sich vor dem Mädchen verbeugte.
»Gebt Ihr mir die Ehre, den Tanz mit Euch eröffnen zu dürfen, Cousine Jane?«
Jane legte ihre zitternde Hand in die warme, weiche des Königs und folgte ihm auf die Tanzfläche. Während jeder Bewegung sah ihr Edward in die Augen, und Jane konnte ihren Blick nicht von ihm lösen. Der König war kein Kind mehr. Auf der Oberlippe zeigte sich erster Flaum, seine Schultern waren breit geworden und sein Kinn markant. Allmählich strömten mehr und mehr Paare auf die Tanzfläche, die Musik wechselte und wurde schneller. Jane wurde von des Königs Seite fortgerissen und sah sich einem anderen Tänzer gegenüber. Dann wieder hob Edward sie an der Taille hoch und wirbelte sie im Kreis. Als er sie absetzte, war Jane seinem Gesicht so nah, dass sie seinen Atem spüren konnte. Sie lachte laut auf. Nie zuvor hatte sie ein Tanzvergnügen am Hof so sehr genossen. Keinen Augenblick wollte sie es gegen die Lektüre eines Plato oder Sokrates tauschen!
John Dudley war neben Lady Frances Grey getreten, die die Tanzenden nachdenklich beobachtete, und er schien ihre Gedanken zu erraten. »Ihr habt eine hübsche Tochter, Mylady. Auch wenn sie etwas schüchtern ist, sieht man in ihren Augen doch die Leidenschaft sprühen. Ihr solltet sie hier in London am Hof lassen.«
Frances Grey musterte Dudley abschätzend. Er war ein gut aussehender Mann, trotz seines Alters noch schlank und durchtrainiert, die grauen Strähnen in seinem schwarzen Haar und Bart machten ihn nicht älter, sondern attraktiver.
»Jane hat die beste Erziehung genossen, Mylord«, sagte Frances und richtete ihren Blick wieder auf ihre Tochter.
»Daran kann kein Zweifel bestehen.«
»Sie ist manchmal etwas … eigensinnig.«
John Dudley lachte leise und nahm einen Schluck aus seinem Kelch. »Das gibt sich im Laufe des Älterwerdens. Wie alt ist sie? Fünfzehn, nicht wahr? Genauso alt wie der König. Ich darf wohl annehmen, dass sie im reformierten Glauben erzogen wurde?«
»Selbstverständlich!« Dudley traf ein vernichtender Blick von Frances Grey.
»Dann prophezeie ich eine glänzende Zukunft für Eure Tochter, Mylady Suffolk.«
Frances legte ihre Hand auf seinen Arm. »Man tut gut daran, Euren Prophezeiungen Glauben zu schenken, Mylord Dudley«, sagte sie schmeichelnd. »Euer Einfluss auf den König ist bekannt.«
John Dudley ergriff ihre Hand, bevor sie diese fortnehmen konnte. »Schaut, wie Edward Eure Tochter betrachtet, da braucht es keinen großen Einfluss, vielleicht nur einen dezenten Hinweis. Ich hoffe, Ihr und Eurer Gemahl zeigt Euch zu gegebener Zeit den Belangen des Landes gegenüber kooperativ.«
Spielerisch schlug Frances mit der freien Hand nach Dudley. Sie liebte solche Gespräche, waren sie doch anregend wie frisches Quellwasser. Und sie liebte das Spiel mit dem Feuer, besonders wenn ein solch attraktiver und reicher Mann wie John Dudley ihr Partner war.
»Ihr meint wohl,
Euren
Belangen gegenüber, Mylord?«, antwortete sie und schlug die Lider nieder.
»Ich sehe, wir verstehen uns, Lady Frances. Teilt Euer Gatte Eure Ansichten?«
Frances stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Er teilt alles, was ich wünsche. Aber jetzt wollen wir uns ebenfalls amüsieren. Seht Ihr, wie voll die Tanzfläche ist?«
Tatsächlich war im Laufe der Zeit und mit steigendem Weinkonsum die Stimmung lauter und ausgelassener
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