Königin für neun Tage
später wurde die Tür geöffnet, und mit dem Schwall kalter Luft traten rund ein Dutzend Leute ein, allen voran Lady Frances Grey, dicht gefolgt von ihrem Mann.
»Ach Jane, hier bist du.« Ein kühler Blick streifte die Tochter. »Wir haben einen Gast? Seid willkommen, Master Ascham. Wie ich sehe, hat meine Tochter versäumt, Euch etwas anzubieten.«
Roger Ascham verneigte sich. »Mylady, Mylord … Eure Tochter hat es an nichts fehlen lassen, wir waren gerade in ein sehr interessantes Gespräch vertieft.«
Lady Frances warf einen verächtlichen Blick auf das aufgeschlagene Buch. »Ich kann mir schon denken, worüber. Alte Griechen – das interessiert die älteste Tochter des Hauses, anstatt andere, für das Leben nützliche Dinge zu lernen, um eines Tages ihren Ehemann damit zu erfreuen.«
»Mutter!«, begehrte Jane auf. Eine tiefe Röte zog über ihr Gesicht. »Wir haben Euch noch nicht zurückerwartet. Wie war die Jagd?«
»Mein Pferd ist heute Morgen gestürzt und hat sich ein Bein gebrochen, wir haben es erschießen müssen. Da ich dann ein minderwertiges Tier hätte reiten müssen, ist mir die Lust an der Jagd vergangen. So sind wir heimgekehrt.«
Über die kalten Worte von Frances Grey war Roger Ascham nicht minder entsetzt als Jane. Für ihre Mutter besaßen Tiere nur den Wert eines Gebrauchsgegenstandes, Jane hingegen hatte schon so manchen verletzten oder aus dem Nest gefallenen Vogel in ihre Obhut genommen und gesund gepflegt.
Zum Glück wechselte Lord Suffolk das Thema. »Ihr seid doch unser Gast, Master Ascham?«
Der Gelehrte schüttelte den Kopf. »Ihr müsst mich entschuldigen, aber Lady Elizabeth hat mir einen weiteren Auftrag erteilt und erwartet sobald wie möglich meine Rückkehr nach Hatfield.« Er legte einen Packen Briefe auf den Tisch. »Ich werde noch heute meine Reise fortsetzen.«
Jane bedauerte, dass Ascham sie so bald wieder verließ. Er war der Einzige, mit dem sie offen über ihre Ansichten sprechen konnte. Antonia fehlte der Drang, alles Wissenswerte wie ein Schwamm in sich aufzusaugen, obwohl sie lernwillig und intelligent war. Aber sie verbrachte ihre Zeit lieber auf dem Rücken der Pferde und hatte es sehr bedauert, an der heutigen Jagd nicht teilnehmen zu dürfen.
Jane verabschiedete sich von Roger Ascham. »Überbringt Lady Elizabeth meine herzlichsten Grüße. Ich hoffe, sie zu Weihnachten am Hof zu sehen.«
Während Ascham noch ein paar Worte mit Lord Suffolk wechselte, zog sich Jane in ihr Zimmer zurück. Antonia war nicht da, so hatte sie Zeit, ihren Gedanken nachzuhängen. Obwohl sie die weite Reise nach Greenwich scheute, freute sie sich auf das Weihnachtsfest und den Jahreswechsel. Sie würde Edward wiedersehen, und das bedeutete Jane so viel, dass sie dafür gerne die oberflächlichen Menschen am Hof in Kauf nahm.
Nach Jahren der Abgeschiedenheit auf dem Land erschreckte Antonia die hektische Betriebsamkeit in Greenwich. Jane lächelte ihr aufmunternd zu und stieß einen kleinen Seufzer aus.
»Ich bin so froh, dass du mich begleitest, Antonia, wenigstens ist ein Mensch in meiner Nähe, dem ich vertrauen kann.«
Antonia zwinkerte mit den Augen und bemerkte: »Nur
einer
? Ich denke, dem König kannst du ebenfalls dein Vertrauen schenken.«
Jane drehte den Kopf zur Seite und tat, als würde sie das Geschehen außerhalb der Kutsche durch die Scheibe beobachten. In der Tat pochte ihr Herz mit jeder Meile, die sie Greenwich näher gekommen waren, stärker. Wann würde sie Edward sehen? Ergab sich die Gelegenheit, allein mit ihm zu sprechen? Jane wusste, dass ihre Eltern erwarteten, der König möge ihr anlässlich der Feierlichkeiten einen Antrag machen. Gut, sie waren beide noch jung, aber doch nicht zu jung, um zu heiraten. Je eher der König einen Erben in die Welt setzte, umso besser für das Land. Jane hatte keine Ahnung, wie das mit dem Kinderkriegen genau funktionierte. Sie wusste nur, dass zwei Menschen, die verheiratet waren, fortan in einem Raum schliefen. Meistens so lange, bis die Frau schwanger war. Das Kind wuchs im Bauch der Frau heran, wie es da aber hineinkam, entzog sich ihrem Wissen. Einmal hatte sie mitbekommen, wie eine unverheiratete Magd schwanger geworden war. Frances Grey hatte sich darüber schrecklich aufgeregt und das junge Mädchen aus Bradgate fortgejagt. Wenn so etwas passierte, wurde eine Frau als liederlich und als Schlampe bezeichnet.
Ich muss unbedingt mit Antonia darüber sprechen, dachte Jane. Schließlich war die Freundin älter und gewiss
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