Königin für neun Tage
Nachthemd gekleidet, das Haar offen bis auf die Hüften fallend, im Vorzimmer stand, trat ihre Mutter heran und küsste sie ungewöhnlich sanft auf die Stirn.
»Mein Kind, du musst nun deine Pflicht tun. Deinem Ehemann und deinem Land gegenüber.«
»Ja, Mylady«, antwortete Jane kalt. Ihr eisiger Blick jagte selbst der harten Frances Grey einen Schauer über den Rücken.
Ohne ein weiteres Wort wandte sich Jane um und betrat das Brautgemach, in dem Guildford Dudley bereits auf sie wartete.
Obwohl die kühle Nachtluft nicht zu einem Spaziergang einlud, verließ Antonia Durham House. In der Halle wurde immer noch gefeiert, die meisten Männer waren inzwischen derart betrunken, dass eine zotige Bemerkung nach der anderen fiel. Zu Bett gehen wollte Antonia nicht. Sie wusste, dass sie aus Sorge um Jane sowieso keinen Schlaf finden würde.
Antonia erkannte Norman erst, als sie unmittelbar vor ihm stand. Er lehnte an der Sonnenuhr und starrte nachdenklich in die Dunkelheit. Die Wolken hatten sich gelichtet, und der Vollmond ließ ihn wie eine griechische Statue erscheinen. Antonia stockte und wollte kehrtmachen, als er sie bemerkte.
»Antonia! Kannst du auch nicht schlafen?«, fragte Norman. Seine Stimme war leise und frei von jeglicher Unfreundlichkeit.
»Sir Norman, warum seid Ihr nicht bei den anderen und feiert diesen Tag?«
Er zuckte mit den Schultern. »Wenn ich jetzt sage, dass ich mir Sorgen um Jane mache, dann wirst du mir gleich wieder vorwerfen, dass ich in sie verliebt bin, nicht wahr?«
»Äh … selbst wenn es so sein sollte, es geht mich nichts an«, stammelte Antonia verwirrt.
Er kam ihr einen Schritt entgegen und stand jetzt so dicht vor ihr, dass sie seinen weingeschwängerten Atem riechen konnte.
»Bist du eifersüchtig, Antonia?« Die Frage kam für Antonia so überraschend, dass sie nicht antworten konnte. »Es tut mir Leid, dass ich zu dir vorhin so barsch gewesen bin. Es stimmt nicht, dass du dich nicht zu einer Frau entwickelt hast, im Gegenteil, zu einer sehr zauberhaften sogar.«
Antonias Verstand riet ihr, so schnell wie möglich ins Haus zurückzukehren, doch ihre Füße schienen mit dem Boden verwachsen zu sein. Normans Worte verwirrten sie und ließen ihr Herz schneller klopften. Gleichzeitig sagte sie sich, dass er getrunken hatte und wahrscheinlich nicht mehr Herr seiner Sinne war.
»Ich danke dir, dass du an Janes Seite bleibst. Sie wird eine Freundin brauchen«, fuhr Norman fort.
»Ich sollte jetzt besser wieder hineingehen«, sagte sie schließlich, nachdem sie sich etwas beruhigt hatte. »Ich wünsche Euch …«
Sie kam nicht dazu, den Satz zu vollenden, denn Norman riss sie so heftig in seine Arme, dass sie regelrecht gegen seine Brust stolperte. Einen Augenblick später senkten sich seine Lippen auf ihre, und Antonia erlebte die unbeschreibliche Süße ihres ersten Kusses. Normans Hände fuhren an ihrem Rücken auf und ab, und selbst durch das Kleid hindurch spürte Antonia die berauschende Wärme seiner Berührungen.
Als er seine Lippen wieder von ihren löste, bemerkte Antonia, dass er aufgeregt keuchte. Sie zermarterte sich den Kopf nach einem klugen und angebrachten Satz, aber ihre Zunge war wie gelähmt. Sie wusste nur, dass sie nicht wollte, dass Norman sie gehen ließ. Niemals wieder.
»Weißt du eigentlich, was für Wünsche du in einem Mann auslösen kannst?«, flüsterte er.
»Äh … nein …«, stotterte Antonia. »Ihr und mein Vater habt doch immer gesagt, dass ich …«
»Pst!« Mit einem zärtlichen Kuss verschloss er ihre Lippen. »Ich weiß nicht, was mit mir geschehen ist, aber nun ist es besser, wenn du in dein Zimmer gehst.« Er ließ sie los und trat einen Schritt zurück. »Und leg den Riegel vor!«
Wie von Furien gehetzt rannte Antonia aus dem Garten. Ein Teil von ihr wollte bei Norman bleiben, aber der andere musste jetzt allein sein, um nachzudenken. Warum hatte er sie geküsst und liebkost? Warum solche Worte zu ihr gesagt? Es war erst wenige Stunden her, dass er sie kalt und herablassend behandelt und beleidigt hatte.
»Es ist der schwere Wein«, murmelte Antonia, als sie ihr Zimmer erreicht hatte. »Nur der Wein hat seine Zunge gelöst.«
Eine warme Röte schoss in ihre Wangen. Ja, Normans Zunge war wirklich gelöst gewesen, aber auf eine Art und Weise, von der Antonia bisher keine Ahnung gehabt hatte. Sie erlebte jede seiner Berührungen noch einmal, und um ihren Schlaf war es nun endgültig geschehen.
Beim ersten Morgengrauen kleidete sich Antonia an. Zu
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