Königin für neun Tage
eigenen Gefühle viel zu sehr beschäftigt, um zu bemerken, welche Gedanken Antonia durch den Kopf gingen, plauderte munter weiter: »Edward hat Guildford und mir eine alte Abtei, die in den letzten Jahren zum Wohnhaus umgestaltet worden ist, zur Verfügung gestellt. Sie liegt in Kent, nur zwei Tagesreisen von hier entfernt. Gleich morgen werden wir aufbrechen.« Erschrocken starrte Antonia sie an. »Du wirst uns natürlich begleiten! Wie jede verheiratete Frau von Stand brauche ich Hofdamen, die mir zur Hand gehen und mich unterhalten.« Sie zwinkerte mit den Augen. »Ich klinge ja schon wie eine alte Matrone. Wie schrecklich!«
Spontan schloss Antonia die Freundin in die Arme. »Ach Jane, bleib einfach so, wie du bist. Dann wird alles gut werden!«
Sie freute sich ehrlich für Jane, die sich mit Guildford Dudley offenbar nicht nur arrangiert, sondern auch Gefallen an ihm gefunden hatte.
»Glaubst du? Manchmal habe ich so ein Gefühl in mir, dass bald etwas ganz Schreckliches geschehen wird und nichts so bleibt, wie es ist.«
»Ach Jane, das ist ganz natürlich. Das Leben ist ständigen Veränderungen unterworfen. Denk an dich und Guildford: Wie warst du voller Ablehnung ihm gegenüber, und das hat sich binnen weniger Stunden geändert.«
Jane lachte laut und sprang von der Bank auf. »Du hast Recht. Es tut so gut, in deiner Nähe zu sein. Du darfst mich niemals verlassen, Antonia. Versprich mir das!«
»Ich verspreche es dir«, antwortete Antonia ernst.
Kurz nachdem Jane am Morgen das Zimmer verlassen hatte, war auch Guildford aufgestanden und hatte sich angezogen. Jane gegenüber hatte er nur vorgegeben, noch tief und fest zu schlafen. Wenig später galoppierte er, von niemandem bemerkt, in halsbrecherischem Tempo nach London. Als die Straßen enger wurden, musste er sein Pferd zügeln, beim Überqueren der London Bridge sogar absitzen, da sich auf der Brücke Kaufleute und Händler drängten. Endlich hatte er sein Ziel in Southwark, der übelsten und schmutzigsten Gegend in ganz London, erreicht. Er klopfte an die schiefe Tür eines heruntergekommenen Hauses, das aussah, als drohe es jeden Moment einzustürzen, und blickte sich, nachdem geöffnet worden war, rasch um. Doch es bestand keine Gefahr, zu so früher Morgenstunde hier auf Bekannte oder Freunde zu treffen, obwohl mancher, mit dem Guildford am Hof verkehrte, das Etablissement ebenfalls zu schätzen wusste.
»Habt Ihr das Geld?«
Ein bulliger Kerl mit brutalen Gesichtzügen baute sich drohend vor Guildford auf.
»Aus diesem Grund bin ich gekommen.« Guildford nestelte den Lederbeutel, den sein Vater ihm nach der Trauung gegeben hatte, von seinem Gürtel. Der Kerl grapschte rasch nach dem Beutel, zog die Schnur auf und schaute prüfend hinein. »Es ist genau die Summe, die ich dir schulde«, sagte Guildford. »Ich betrüge nicht.«
»Wenn es um das Fallen der Würfel geht, bin ich mir nicht so sicher«, murmelte der Mann. »Aber Ihr wisst, was mit Euch geschieht, wenn Ihr noch einmal so lange bei mir in der Kreide steht. Wie ich hörte, habt Ihr geheiratet. Meinen herzlichen Glückwunsch.«
»Spar dir deine Phrasen«, herrschte Guildford ihn an. »Ich bin jetzt ein ehrbarer Ehemann und werde dein zweifelhaftes Haus nicht mehr aufsuchen.«
Der andere grinste und entblößte dabei eine Reihe schwarzer Zahnstummel. »Das sagen alle, zuerst jedenfalls. Solange Ihr bezahlen könnt, seid Ihr ein gern gesehener Gast, und einige meiner Damen würden Euch ungern missen. Ich weiß zwar nicht warum, aber besonders Meg hat einen Narren an Euch gefressen.«
Guildford verzichtete auf eine Entgegnung und schlüpfte durch die Tür nach draußen. Kaum hatte er seinen Fuß auf die Straße gesetzt, prallte er mit einem Mann zusammen.
»Mylord Dudley! Was macht Ihr in dieser Umgebung?«
In Guildfords Kopf arbeitete es fieberhaft. Er war sich sicher, den Mann am vergangenen Abend in Chelsea gesehen zu haben. Seine Kleidung und sein Auftreten wiesen ihn ebenfalls als Mann von Stand auf, und es passte Guildford überhaupt nicht, in dieser Gegend gesehen zu werden, darum blaffte er zurück: »Das kann ich genauso gut Euch fragen!«
Norman Powderham grinste. »Mylord,
ich
bin aber nicht gestern getraut worden.«
»Ach, lasst mich in Ruhe!«, knurrte Guildford und schwang sich auf sein Pferd.
Norman sah ihm nach, bis er in den engen Gassen verschwunden war. Guildford Dudley eilte der Ruf voraus, sich in zwielichtigen Spelunken und Bordellen herumzutreiben. Nun, das taten viele
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