Königin für neun Tage
Höhe.
»Weshalb? Weil ich ihn nicht mag, darum! Ich weiß, Mary, er ist dein Bruder, aber ich verabscheue ihn trotzdem.«
Schnell nahm Antonia Jane in die Arme, deren Lippen verdächtig zu zittern begannen.
»Ich denke, wir sollten nach Chelsea zurückkehren«, sagte sie entschuldigend zu der blassen Mary. »Jane ist durch die ganzen Hochzeitsvorbereitungen schrecklich durcheinander. Gegen Abend kommt auch noch ein Herr vorbei, um den Ablauf des musikalischen Programms zu besprechen.«
Während die Barke träge durch das ruhige Wasser glitt, sagte Antonia ohne Umschweife: »Du hast zwar eingewilligt, Guildford Dudley zu heiraten, Jane, aber noch ist es nicht zu spät. Deine Eltern können dich nicht mehr quälen, als sie es bisher schon getan haben.« Sie rüttelte die Freundin fest an den Schultern, da diese nur teilnahmslos auf die kleinen Wellen starrte, die an den Schiffsrumpf schlugen. »Jane, es muss einen anderen Weg geben! Ich kann nicht mit ansehen, wie du unglücklich wirst.«
Langsam schüttelte Jane den Kopf. »Ich habe es Edward versprochen«, sagte sie dumpf. »Es liegt ihm am Herzen, dass ich heirate, und ich werde ihm diesen letzten Wunsch erfüllen.«
Antonia drang nicht weiter in sie. Es war offensichtlich, dass Jane nicht mehr über sich und Edward sagen wollte. Bitter dachte sie daran, wie hilflos eine Frau der Willkür der Männer ausgeliefert war. Sicher, in den letzten Jahren hatte sich Antonia an das Tragen von schönen Kleidern gewöhnt, sie mochte es auch ganz gerne, ihr Haar in verschiedenen Varianten zu frisieren, aber in den meisten Bereichen des Lebens wäre sie nach wie vor gerne ein Mann. Ein Mann, der selbst entscheiden konnte, wann und wohin er ausritt, und auch sonst freie Entscheidungen fällen konnte.
»Er sieht eigentlich ganz gut aus, nicht wahr?«, sagte Jane plötzlich.
»Wer? Der König?«, fragte Antonia.
»Nein, ich meine Guildford. Er ist so viel … männlicher als Edward. Dabei ist er nur zwei Jahre älter.«
»Zwei Jahre sind in diesem Alter sehr viel«, gab Antonia zu bedenken. Sie war über Janes Bemerkung verwundert. »Es macht es leichter, einen Mann zu heiraten, von dem man sich optisch angezogen fühlt.«
»Hm …« Janes Blick ging in die Ferne, und sie gab keine Antwort. Deutlich konnte Antonia in ihren Augen die innere Zerrissenheit erkennen, der die Freundin ausgesetzt war.
Vier Tage vor der Hochzeit zogen sie nach Durham House. Die letzten Vorbereitungen für die dreifache Hochzeit waren nun voll im Gange. Die Prunkgemächer waren mit neuen roten und goldenen Stoffen ausgestattet worden, überall lagen fein gewebte Teppiche auf den Böden, und mit Silberborten gesäumte Tischtücher trugen zu der Pracht bei.
Am Pfingstsonntag, dem 21. Mai, schien das Wetter sich mit Janes trüber Stimmung zu verbünden, denn es regnete in Strömen und es wehte ein kühler und heftiger Wind. In Janes Haar wurden Perlenschnüre geflochten, darüber kam die goldene Haube, dann wurde sie in ihr Hochzeitsgewand gekleidet. Jane ließ alles mit unbewegtem, totenbleichem Gesicht über sich ergehen. In der Kirche rauschten die Worte des Bischofs wie aus weiter Ferne an ihren Ohren vorbei, sie verstand kein Wort von der nicht enden wollenden Litanei über Vertrauen, Liebe und gegenseitige Hochachtung. Es kam Jane vor, als betrachte sie die Zeremonie als Außenstehende. Ihre Mutter musste sie zweimal anstoßen, bevor Jane ihr »Ja« hauchte. Dann sah sie, wie Guildford sein Gesicht über sie beugte, und bevor sie den Kopf zur Seite drehen konnte, küsste er sie schon mitten auf die Lippen. Ein eisiger Schreck durchfuhr Jane, denn seine Lippen waren hart und fordernd, beinahe ein wenig brutal. Die Berührung war so anders gewesen als der Kuss, den sie mit Edward getauscht hatte. Beim Gedanken an den König zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen, darum war sie erleichtert gewesen, von John Dudley zu erfahren, dass der König sich nicht wohl fühle und leider nicht an der Hochzeit teilnehmen könne. Jane konnte es allerdings nicht verhindern, dass sie sich um Edwards Zustand sorgte und hoffte, er würde bald wieder genesen.
Wohl an die dreihundert Gäste schmausten, tanzten, sangen und lachten in der großen Halle von Durham House. Vor den Toren scharten sich Bettler, die mit so viel Fleisch, Wein und Brot in ihre armseligen Quartiere gingen, dass sie sich eine Woche lang daran gütlich tun konnten. John Dudley war an diesem besonderen Tag großzügig gewesen. Alle, auch die Ärmsten der
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