Königliche Republik (German Edition)
dann nahm sie den Ausgang über den Hof,
um Rita nicht zu begegnen. Die Mutter würde sie womöglich
aufhalten wollen.
Mit
dem Eimer in der Hand lief sie auf die Straße. Der Glashändler
von gegenüber, Antonio Varese, ließ gerade seine Kutsche
auf die Straße rollen. Während der Kutscher ihm die Tür
aufhielt, wollte Mirella an ihnen vorbeirennen.
„Langsam!“
Varese erwischte sie an einer Schleife ihres Kleides.
Mirella
packte seine Hand. „Lasst mich!“
„Steig
ein, wir haben den gleichen Weg!“ Er griff nach ihrem Eimer.
In
der Kutsche saßen drei von Vareses Dienstboten, Eimer auf dem
Schoß oder zwischen den Füßen. Mirella stieg ein und
der Nachbar zwängte sich neben sie.
„Ich
fürchte allerdings, wir werden zu spät kommen. Warum hat
uns Ihr Vater nicht gleich zu Hilfe geholt?“
Die
Straßen waren immer noch voller Menschen. Sie brauchten lange,
bis sie den Kai erreichten, an dem das Lagerhaus stand. Der Geruch
von Rauch stieg Mirella in die Nase. Die Gesichter der Dienstboten
wurden grimmig, verbissen.
Metall
klirrte auf Metall. Männer brüllten; dann gab es einen lang
gezogenen Schrei, der ihr einen eisigen Schauer den Rücken
hinunterjagte.
Varese
schob den Vorhang beiseite und warf einen Blick nach draußen.
„Sie bleibt hier, Signorina!“
„Aber
...“
„Keine
Widerrede. Ihr Bruder bringt mich um, wenn Ihr etwas passiert.“
Er
stieg aus, noch ehe die Kutsche ganz angehalten hatte, und winkte
seinem Kutscher. „Cesare, sorg dafür, dass die Signorina
hier bleibt.“ Die anderen Männer folgten ihm.
Mirella
stand auf.
„Signorina,
bitte.“
Sie
schenkte Cesare ein Lächeln. Er war kaum älter als sie; sie
sollte ihn bezaubern können. „Er kann mich doch aussteigen
lassen. Ich möchte sehen, was dort passiert.“
Cesares
Miene blieb starr. „So schau Sie aus dem Fenster.“ Er
legte die Hand auf den Türgriff.
„Wollte
Er nicht auch helfen?“
Er
nickte. „Das hat Sie vereitelt.“
Mirella
schlug einen Moment wie beschämt die Augen nieder und senkte
ihre Stimme. „Das tut mir leid.“ Sie blickte wieder auf.
„Aber geh Er nur. Nehm Er Seinen Eimer und helfe. Mir wird
schon nichts passieren.“
Er
nahm tatsächlich seinen Eimer hoch; aber dann krallte er beide
Hände um den Henkel und drückte die Arme steif an den
Körper. Er sah sie nicht an, als er antwortete. „Ich
gehorche dem Padrone .“
Mirella
stemmte die Ellenbogen auf den Fensterrahmen und streckte den Kopf
hinaus.
Vor
den Lagerhäusern am Ende des Piers blitzten im Feuerschein
Messer und Säbel auf. Wo waren Dario und Enzo?
Sie
fasste nach dem Türgriff, aber Cesare hielt ihn von außen
fest. Blitzschnell beugte sie sich heraus und biss ihn in den bloßen
Arm. Erschrocken wich er zurück und ließ los; sie riss die
Tür auf und schlug sie ihm an den Kopf. Er taumelte und sie
sprang hinaus.
Aber
als sie sich aufrichtete, war er neben ihr und packte sie. „Sie
bleibt hier!“ Er presste sie fest an sich, umklammerte sie mit
beiden Armen. Sie trat nach ihm und strampelte, aber es half nichts.
Er war stärker, hob sie hoch und zwang sie in die Kutsche
zurück.
Ihre
Köpfe stießen aneinander. In seinen Augen blitzte es auf –
und dann küsste er sie. Zuerst lag sein Mund hart auf dem ihren,
dann wurden seine Lippen sanft und so weich, als wären sie aus
Samt.
Er
ließ sie abrupt los. „Vergeb Sie mir, Signorina, wenn Sie
kann. Ich habe mich vergessen.“
Sie
starrte ihn mit halb geöffnetem Mund an. Jetzt musste sie ihn
ohrfeigen.
Langsam
hob sie die Hand. Dann legte sie die Fingerspitzen auf ihre Lippen
und starrte weiter.
In
Cesares Augen glomm noch immer ein Licht; und es war nicht der
Widerschein des Feuers.
Mirella
atmete durch. „Es geschehen viele Dinge in diesen Tagen, die
nicht schicklich sind.“
Ihr
Blick ging hinüber zu den Lagerhäusern. Die Männer
schienen zur Vernunft gekommen und hatten ihre Zweikämpfe
beendet. Sie formierten Ketten und begannen, Eimer zum Löschen
weiterzureichen. Aber sie kämpften nicht mehr um das Lagerhaus
der Scandore, sondern versuchten, ein Übergreifen des Feuers auf
die angrenzenden Gebäude zu verhindern.
„Wir
sollten beide helfen. Sie schlagen sich nicht mehr.“
Cesare
drehte sich nach dem Feuer um. Dann nickte er. „Wir stellen uns
ans Ende der Wasserkette.“
Erleichtert
ließ Mirella sich von ihm aus der Kutsche helfen. Wieder waren
sie sich ganz nahe. Aus seinem Haar strömte ein süßlicher
Duft und überdeckte für einen
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