Königliche Republik (German Edition)
ob wir mit ihnen eine haben. Du und ich vielleicht.“
Mirella ballte die Fäuste. „Aber Neapel hungert.“
„Das
tut es jetzt auch. Ist dir nicht klar, dass Vater vor dem Ruin steht?
Fischer und Waffenschmiede kaufen kein Florentiner Tuch. Und die
Seidenweber wollen mehr Geld für ihre armseligen Stoffe.“
Er hielt ihr die losen Bändel hin und Mirella band sie mit
zornig zusammengepressten Lippen zusammen.
„Du
warst sehr mutig heute Nacht. Vielleicht kann ich deine Hilfe
tatsächlich brauchen. So weit es dich nicht in Gefahr bringt.“
Er schob sie von der Bettkante. „Nun lass mich endlich
schlafen.“
***
Mirella
blinzelte gegen die Sonne, die ihr voll ins Gesicht schien. Später
Vormittag schon. Sicher waren Dario und Enzo längst wieder am
Lagerhaus. Gewiss könnte sie auch helfen.
Behutsam
kroch sie aus dem Bett; jeder Muskel tat ihr weh.
Sie
rief nach Gina und dann suchte sie im Kleiderschrank nach einem
Kleid, das alt genug war, um nicht Ritas Ärger
heraufzubeschwören, falls sie es ruinierte.
Misstrauisch
betrachtete Gina den Rock, für den sie sich schließlich
entschieden hatte. „Was hast du vor?“
„Weißt
du, wie lange Vater und Dario fort sein werden?“
„Sie
werden nicht zum Mittagessen kommen; ich habe ihnen Gemüsekuchen
backen müssen.“
Mirella
trat näher ans Fenster und zog Gina mit sich, die eine halb
gebundene Schleife zwischen den Fingern hielt, die sie nicht
loslassen wollte. Über dem Vesuv türmten sich die Wolken
ambossförmig in die Höhe. „Das sieht nach einem
Gewitter aus. Aber ich will zu den Oliveto heute Nachmittag. Sag mir
Bescheid, falls Fabrizio zurückkommt.“
„Und
dann ziehst du dich so an?“ Gina sah ihr von der Seite ins
Gesicht. „Du warst doch gestern früh schon bei Stefania.
Oder nicht?“ Ihre Stimme klang argwöhnisch.
„War
ich nicht. Ich wollte zuerst herausfinden, was der Tumult auf den
Straßen zu bedeuten hatte. Und danach ...“
„Dann
habe ich Fabrizio wohl falsch verstanden.“
Was
war sie doch dumm: So hatte Fabrizio dicht gehalten und nun hatte sie
sich selber verraten. Und ihn kompromittiert. Zu ärgerlich. „Du
wirst wohl alt, meine Gute.“
Gina
seufzte. „Wohl wahr; ich spüre meine Knochen immer mehr.“
Sie streckte ihre knotigen Finger aus. „Das Nähen fällt
mir von Tag zu Tag schwerer.“
Niemand
im Haus hatte bislang daran gedacht, dass sie sich mehr um Gina
kümmern sollten; sie würde es Rita sagen. „Dann lass
doch das Mädchen die Arbeiten machen, die dir zu schwer werden.
Du hast immer noch genug zu tun.“
Gina
schloss mit einer heftigen Bewegung den nächsten Haken. „Du
führst etwas im Schilde. Oder hast etwas angestellt.“
„Aber
Gina!“ Mirella schob ihre Hände beiseite und drehte sich
um. „Ich bin kein Kind mehr. Und du ... Ich mache mir wirklich
Gedanken.“
„Schon
gut.“ Gina nahm ihre Tätigkeit in Mirellas Rücken
wieder auf.
„Wie
komme ich in die Stadt?“
„Gar
nicht. Deine Mutter wird es nicht erlauben. Du hättest sie sehen
sollen, als dein Vater davon erzählte, dass du auch am Kai
warst.“
„Mamma
fällt immer gleich in Ohnmacht.“ Mirella rümpfte die
Nase. „Mir ist doch nichts passiert. Mir nicht.“ Aber was
erzählte sie Gina das? Für Rita musste ihr etwas einfallen.
Oder auch nicht. Es war noch eine Weile hin bis zum Abend.
Nach
dem Frühstück nahm Mirella im Salon ihr Stickzeug und
setzte sich ans Fenster.
Plötzlich
kam ein merkwürdiger Ton von draußen; dumpf, grollend. Das
war nicht das Gewitter.
Mirella
öffnete das Fenster. Da war der Ton wieder. Er kam von der
anderen Seite des Hauses. Aus der Stadt. Es knallte mehrmals
hintereinander. Das waren Schüsse aus Arkebusen oder Musketen.
Also war der andere Ton Kanonendonner. Aber wer schoss dort auf wen?
Und wo? Vielleicht sah sie vom Hof aus etwas.
Mitten
im Flur stand Gina und rang die Hände. Buchstäblich. Dabei
murmelte sie ein Ave Maria.
„Was
hast du denn?“ Sie waren hier doch sicher; so weit reichten die
Geschütze der Spanier nicht.
Rita
kam aus ihrem Zimmer, perfekt frisiert und gekleidet. „Wo
willst du hin, Kind?“
„Nach
draußen. Vielleicht kann ich von dort etwas sehen.“
Rita
seufzte. „Sie schießen aufeinander. Hast du die Kanonen
gehört? Es scheint, die Meute will die Garnison erobern, um sich
besser auszurüsten.“ Erst Gina; nun Rita: Sie musste
ernsthaft besorgt sein, dass sie wusste, was unten in der Stadt
vorging; es passte so wenig zu ihr.
„Aber
wozu
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