Königliche Republik (German Edition)
leicht
geben wir uns nicht geschlagen.“ Dieser Mann hatte zwei
Gesichter und nun hatte er das öffentliche Gesicht wieder
hervorgekehrt.
Enzo
erhob sich ebenfalls. „Es ist besser, wenn ihr hier wartet.“
„Nein!“
Rita wirkte plötzlich entschlossen. „Vielleicht ist es das
letzte Mal ...“ Ihre Stimme versagte und Enzo reichte ihr seine
Hand.
Mirella
blieb sitzen und sah ihnen ratlos hinterher. Sie fürchtete,
Alexandre wiederzubegegnen, obwohl er eigentlich keinen Grund für
seine Anwesenheit hätte ... Doch das hatte schon am Morgen
gegolten: Wieso war er überhaupt dort gewesen? Und der Comte de
Modène – war er zufällig mit einem Befehl des Dogen
aufgetaucht; mit etwas, das nichts mit dem Prozess zu tun hatte? De
Guise war dieser Prozess wichtig – galt das auch für den
Ausgang? Aber nicht der Richter entschied, sondern die Geschworenen.
Wenn sie Dario köpfen wollten ...
Sie
sprang auf; sie musste wissen, was sich dort abspielte. Vielleicht
konnte sie noch etwas tun. Und wenn sie dafür Alexandre unter
die Augen treten müsste – was er von ihr dachte, zählte
jetzt nicht mehr. Er würde ihr die Wahrheit sagen, auch wenn er
sie nun verachtete.
Gerade,
als Mirella den Saal betrat, kehrte das Hohe Gericht zurück. Der
Bedienstete an der Tür hieß sie, still zu stehen, bis der
Richter und die Geschworenen Platz genommen hatten.
Mirella
nutzte den Moment, um sich umzusehen. Doch sie suchte nicht nach
einem freien Platz; in Wahrheit suchte sie nach Alexandre. Er war
tatsächlich wieder da. Sie würde ihn fragen, was das zu
bedeuten hatte – und er würde es ihr sagen.
Enzo
und Rita saßen ganz weit vorne unter den Zuschauern; eine
Bankreihe nur trennte sie von Dario und dem Avvocato .
Neben
Stefania gab es einen freien Platz; sie sollte sich zu ihr setzen und
sie nicht allein lassen mit ihrem Kummer. Aber ihr war selber elend
zumute wie nie zuvor in ihrem Leben. Alexandre saß wieder am
äußeren Rand einer Bank, einen Fuß in den Gang
ausgestreckt. Der Gedanke an seine Wärme zog sie an. Doch
angesichts des freien Platzes neben Stefania konnte sie ihn schlecht
bitten, zur Seite zu rücken. Sie mochte sich nicht entscheiden
und blieb einfach stehen.
Der
Richter schlug mit seinem Hämmerchen und das Gemurmel erstarb.
Mirella schob die Fäuste unter ihre Achseln und drückte die
Arme an den Körper; trotzdem zitterte sie weiter.
Der
Richter forderte Dario auf, sich zu erheben und Dario wurde von
seinen Wächtern hochgezogen.
Dann
brachte einer der Geschworenen dem Richter ein gefaltetes Blatt
Papier. Umständlich rückte er seinen Zwicker zurecht. „Die
Geschworenen haben mir nach der Mittagspause zu verstehen gegeben,
dass sie zu keinem einstimmigen Urteil kommen können. Dennoch
erfordern die Umstände, eine Entscheidung zu treffen.“
Mirella
stöhnte auf. „Nein!“
Alexandre
wandte sich nach ihr um. Er nickte ihr zu; mit einem kleinen Lächeln
in den Augen, das sie nicht begreifen konnte.
Der
Richter blickte zornig in ihre Richtung. „Ruhe!“ Er
faltete das Papier auseinander und zählte mit dem Finger die
Namen darauf. „Sieben – schuldig.“
Hatte
Alexandre nicht gesagt, das Urteil müsste einstimmig sein?
Hätten sie nicht weiter beraten müssen? Durften sie Dario
hinrichten? Mirella hielt den Atem an, um der aufsteigenden Hoffnung
keinen Raum zu geben.
„Fünf
– nicht schuldig.“ Der Richter klopfte gegen die Unruhe
an, die sich im Saal ausbreitete. „Angesichts der besonderen
Umstände ...“ Was meinte er nur immer damit? Sie hätte
ihn umbringen können, als er eine Pause machte, das Papier dem
Gerichtsschreiber hinhielt und wartete, bis der es zu den Akten
genommen hatte.
Der
Richter blickte Alexandre an, während er weitersprach. „Der
Doge hat verfügt, dass bei einer qualifizierten Minderheit das
Verfahren bis zum Vorliegen neuer Beweise unterbrochen wird.“
„Verräter!“,
tönte es aus den Bankreihen rechts von Mirella.
Neben
dem Rufer saß der Mann von der Piazza del Mercato, der Anführer
der Seidenweber. Er erhob sich. „Das ist eine Farce!“
„Ruhe!“
Der Richter knallte seinen Hammer auf den Tisch, aber der Tumult
unter den Seidenwebern wurde größer.
Miliz,
von einem Gerichtsdiener herbeigewunken, betrat den Saal. Die
Soldaten zogen ihre Degen und sofort wurde das Murren leiser.
Alexandre
stand auf; er sah zufrieden aus. Mirella presste eine Faust auf den
Mund und versuchte, ihr Schluchzen zu dämpfen.
Während
er die Tür öffnete,
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