Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
zuvor –, als ich eine Wegwerfkamera kaufte, fragte mich der Mann im Laden, von wem ich ein Foto machen wolle.
“Ach, von so einem alten Freak drüben in Woody Creek”, antwortete ich ihm.
“Und von welchem?”, wollte er wissen. “Da drüben gibt’s jede Menge davon.”
“Vom Oberfreak”, sagte ich. “Vom letzten Gesetzlosen. Ich schreibe für ‘High Times’ einen Artikel über seinen Fall.”
“Hören Sie”, sagte er. “Tun Sie mir einen Gefallen und stellen Sie ihm eine Frage, die hier alle auf dem Herzen haben: Wie macht er das? Wie schafft er es, auf dieselbe Weise zu leben, wie wir es damals getan haben, und trotzdem zu überleben?”
Genau das ist der erstaunlichste Aspekt an diesem verblüffenden Mann. Wie macht er das? Wir haben die ganze Nacht reichlich getrunken. Er hat den Kopf voll THC. Alle naslang senkt er den Kopf, rüsselt wie ein Ameisenbär und kommt schniefend und japsend wieder hoch. Dunhills werden in Kette konsumiert. Seine Arbeitszeiten sind die eines Vampirs, der nur Blut von Speedfreaks saugt. Und doch ... ja, und doch leuchtet durchaus ein, was er zu sagen hat. Für mich klingt es vernünftiger als das, was alle anderen heutzutage schreiben, denn er VERSTEHT, WAS ABGEHT.
Ich habe die Achtziger im Gefängnis verbracht. Als ich herauskam, hatte ich den Eindruck, dass sich unser Land drastisch verändert hatte, und zwar zum Schlechten. Ich befürchtete, dass nur die Hunderttausende von uns, die während dieses verabscheuungswürdigen Jahrzehnts weggesperrt
worden waren, den richtigen Blick dafür besaßen, wie schlimm die Dinge sich tatsächlich entwickelt hatten. Dann las ich ‘Songs of the Doomed’.
Also fragte ich den Doktor: "Wie machen Sie das?" Wir sind draußen auf seinem Hinterhof, einer Kombination aus Ein-Loch-Golfplatz und Schießstand. Dr. Thompson demonstriert ein Infrarot-Nachtsichtgerät, das er auf ein Präzisionsgewehr montiert hat. Er sieht sogar noch relativ frisch aus. In seinem indianischen Fransenkittel und mit einer Art gestrickter Fliegerkappe, dazu Lunchspuren von Schokoladenkuchen auf den Lippen, wirkt er bemerkenswert gesund für einen Mann, der nach eigenem Bekunden nie “NEIN” gesagt hat.
“Ich habe meine Entscheidung schon vor langer Zeit getroffen”, sagt der Doktor und späht dabei durch das Sichtgerät. “Manche sagen, ich bin eine Eidechse ohne Puls. Die Wahrheit ist – Himmel, wer weiß das schon? Ich hätte nie gedacht, dass ich älter als siebenundzwanzig würde. Jeden Tag aufs Neue bin ich ebenso verblüfft wie alle anderen, wenn ich feststelle, dass ich noch lebe.”
Vielleicht versteht er es ja wirklich nicht, aber das bezweifle ich. Mir wird durch die Nebelschwaden meines Hirns immer deutlicher bewusst, dass Dr. Thompson sich sozusagen in einem psychophysiologischen Stand der Gnade befindet, weil er während all dieser Jahre sich selbst stets treu geblieben ist. (High Times, August 1991)
Nun denn … inzwischen sind zwölf Jahre vergangen, und heute sind die Probleme mit der Polizei in diesem Land noch schlimmer als damals. Das Amerikanische Jahrhundert ist vorüber, wir dreschen
immer noch auf Pygmäennationen am anderen Ende der Welt ein, und die Lebensqualität, auf die wir in den guten alten USA einmal so stolz waren, hat sich für neunundneunzig Prozent der Bevölkerung in Luft aufgelöst.
Und unser Präsident heißt noch immer Bush – so wie 1990, als eine Bande zum Scheitern verurteilter Bullen in mein Haus einfiel und versuchte, mich hinter Gitter zu bringen. Sie waren zu dämlich und bekamen, was ihnen gebührte: Sie fielen in Ungnade, wurden gedemütigt und geprügelt wie dreibeinige Maultiere auf dem dreckigen Pfad in die Hölle. Res Ipsa Loquitur.
Ich war niemals besonders stolz auf jene miese Episode in meinem Leben, aber mir blieb wirklich keine andere Wahl. Es hieß Wühl im Dreck, Schwein, oder stirb – im Jargon chinesischer Schweinezüchter –, und allem Anschein nach lag es nicht in meiner Natur, mich einfach auf die Seite zu wälzen und zu sterben.
Marlon Brando hat mir das vor ungefähr vierzig Jahren erklärt, als wir beide bei irgendeiner Aktion für die Fischereirechte der Indianer an einem Flussufer in der Nähe von Olympia, Washington, buchstäblich im Schlamm wateten. »Okay«, sagte er zu mir bei einer hitzigen Pressekonferenz zur Sache der Indianer; die Herren Ureinwohner brachten hier ihre ganze Wut darüber zum Ausdruck, dass sie unter dem kollektiven Etikett
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