Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
WELT in goldenen Buchstaben quer über dem rostigen langen Sägeblatt … An einem Ende hängen der versteinerte Lauf eines Wapitihirsches und ein hübsch bemalter Holzvogel aus Russland, der angeblich allen, die unter ihm hindurchgehen, Frieden, Glück & Reichtum bringt.
Der seltsam aussehende Vogel hängt dort, aus sentimentalen Gründen, schon fünfzehn extrem aktive Jahre lang, und zum ersten Mal erwäge ich jetzt, Bilanz zu ziehen. Hat dies geschnitzte Objekt steinalter russischer Volkskunst einen positiven Einfluss auf mein Leben gehabt? Oder einen negativen? Soll ich diesen Vogel meinem Sohn und meinem Enkel weitergeben? Oder soll ich ihn nach draußen schaffen und auf dem Hof exekutieren wie eine heimtückische Hure?
Das ist die große Frage. Soll der Vogel am Leben bleiben und verehrt werden von den Generationen, die da kommen? Oder soll er eines gewaltsamen Todes sterben, weil er mir Unglück gebracht hat?
Diese Frage zieht beängstigende Konsequenzen nach sich. Ist es wirklich klug, jetzt Bilanz zu ziehen? Was geschieht, wenn ich am Ende als Verlierer dastehe? Ihr Götter, lasst mich in dieser Sache bedachtsam sein. Bewege ich mich etwa schon auf gefährlichem Terrain?
Sieht ganz so aus. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt meines Lebens ist es nicht angebracht, überhastet Urteile zu fällen, worüber auch immer. Ohnehin würde höchstens ein abergläubischer Eingeborener einen solchen Scheißdreck glauben.
Plötzlich hörte ich Anita vom Büro her kreischen, als sei irgendwo am anderen Ende des Hauses Feuer ausgebrochen. Wunderbar, dachte ich. Was bin ich für ein Glückspilz, die kleine Unterbrechung kommt mir gerade recht. Nur her damit. Und gleich zur Attacke schreiten. Ich griff nach dem zehn Kilo schweren Feuerlöscher neben der Tür und malte mir schon aus, endlich mal wieder richtig Spaß zu haben.
Aber, ach, es sollte nicht sein. Anita kam mit einem Computerausdruck in der Hand um die Ecke gerannt. »Der Präsident droht, die Ölfelder der Saudis zu besetzen, wenn die uns nicht helfen, das Übel des Terrorismus auszumerzen – er will das Militär einsetzen.« Sie sah so erschüttert aus, als sei soeben der 4. Weltkrieg ausgebrochen. »Das ist doch der reine Wahnsinn!«, jammerte sie laut. »Wir können doch nicht einfach so in Saudi-Arabien einmarschieren.«
Ich nahm sie in den Arm und schaltete CNN ein, wo Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gezeigt wurde, der seinen Gipsarm wie eine geballte Faust in die Kamera streckte, das Gerücht als »baren Unsinn« anprangerte und wieder einmal drohte,
diese »verantwortungslosen Informanten« der Presse in den Katakomben des Pentagon »aufzuspüren und zu eliminieren«. Er hätte Lust, auf der Stelle jemanden zu bestrafen . Die Vereinigten Staaten würden natürlich niemals engen arabischen Verbündeten wie den Saudis den Krieg erklären. Das wäre der reine Wahnsinn.
»Nicht unbedingt«, sagte ich, »zumindest nicht, bis katastrophaler Murks daraus wird und Bush in Washington auf dem Scheiterhaufen brennt. Gescheit ist reich und mächtig; wahnsinnig ist falsch und arm und schwach. Die Reichen sind frei , die Armen sperrt man in Käfige.« Res Ipsa Loquitur , Amen, Mahalo …
Okay, so viel also dazu . Schluss mit diesen unausgegorenen Hasch-Tiraden. Was, wenn der Vogel sagt, ich liege falsch und hab mein Leben lang falsch gelegen?
Dann würde ich wohl ganz bestimmt nicht entspannt hier sitzen und mich noch mal anschicken, am Rande eines Krieges mit der gesamten muslimischen Welt endgültige Urteile über den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zu fällen. Nein. Das würde mich ja zum Verräter machen und überdies zu einem gefährlichen Sicherheitsrisiko, zu einem Terroristen, in den Augen des Gesetzes zu einem Monster.
Verflixt. Was soll ich sagen? Dies Land steht am Scheideweg, und es droht wieder einmal eine unheilvolle Polarisierung zwischen richtig und falsch. Die Politik zwingt uns die Frage auf: »Auf welcher Seite stehst du ?« … Vielleicht wäre ein Autoaufkleber mit der Frage angebracht: BIST DU GESUND IN DER BIRNE ODER KRANK?
Dieser Frage habe ich mich mein Leben lang Tag für Tag gestellt, und an den meisten Tagen habe ich wie auf einem x-beliebigen Formular das GESUND-Kästchen angekreuzt – sei es auch nur, weil ich nicht tot bin und nicht im Gefängnis und nicht kreuzunglücklich über mein Leben.
In den Klassenzimmern und den Gerichtssälen dieser Nation herrscht kein Mangel an
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