Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
Vom Netzwerk:
für Ruhe und Ordnung: Das Recht kommt vor schrankenloser Entfaltung. Das Recht rangiert vor Wohlfahrt. Unverrückbares Recht verhindert Tyranneien und Chaos, es rettet die Kultur.»
    «Wo Ordnung sie nicht erstickt.»
    «Gentz dachte, und sein Chef, Kanzler Metternich, handelte. Beide schwammen mitsamt Europa in einem Strudel, für den es kaum mehr Kompaß und Navigation gab. Nur noch die martialischere Kraft bestimmte. Sie erlauben, daß ich mich selbst zitiere: Zweifel und Zwiespalt obwalteten, mit welchen anderen Ideen – außer Erobern und Freiheitsemphase, oft genug hohle Propaganda – Menschen erträglich miteinander leben könnten. – Wie mein Vater und manche sich Hitler entgegenstemmten, knüpften Gentz und Metternich zäh ein Netz um Napoleon. Wobei es ja einem Wunder gleicht: Österreich wurde fast immer besiegt, doch ging nie unter, außer kürzlich mit Hurra! War Gentz guter Dinge – jeder bedeutende Mensch ist facettenreich –, begrüßte er manchen Fortschritt. In düsteren Stunden wollte er sogar die Meinungsfreiheit beseitigen, um das Chaos moderner Stimmen einzudämmen. Er sah sehr deutlich als einer der scharfsinnigsten Geister, der er gerne im Hintergrund agierte – auch ich hege eine gewisse Scheu vor großen Versammlungen –, daß Abstraktionen wie Volk, Nation, Freiheit nicht automatisch eine Tendenz zum Guten innewohnt. Angesichts menschlicher Schwächen, die sich stets Bahn brechen, verachtete er den leichtsinnigen Optimismus von Revolutionären, die das Gute und Sinnvolle im Leben, Wohlfahrt und Tugenden per Gesetz zu erzwingen wähnen. Neben der großen, zuletzt immer überwiegenden Anzahl derer, welche für das Neue arbeiten, befand er im Wirbel von Geschehnissen, in dem wir seither fortwährend leben, muß es eine Minderzahl geben, die mit Maß und Ziel das Alte zu behaupten und den Strom der Zeit, wenn sie ihn auch nicht aufhalten kann und will, in einem geregelten Bette zu erhalten sucht.»
    Die Trinkenden schauten, ob die Nennung einer Lagerstätte unversehens eine Reaktion in ihrer Mitte auslöste. Dem war nicht so, denn ein Heben der Mineralwasserflasche, ein flacher Schluck daraus, hingen mit der Verquickung von Weltgeschehen, Golo Mann und einem recht vergessenen, doch fraglos bedeutungsvollen Zivilisationslenker nicht zusammen.
    «Muß ich mich für möglicherweise Heikles und wenig Geläufiges entschuldigen?»
    «Nein, darin mischen sich doch Freiheit und Aufmerksamkeit.»
    Golo Mann verbeugte sich. «Ich bin nicht Friedrich von Gentz, und Napoleon ist nicht jener Führer. Aber Gentz und ich sind gegen Übermacht, er wie ich plädieren für eine Sorgfalt im Miteinander, deren Ziel sich kaum benennen läßt: Recht und Anstand.»
    «Soweit man gelernt hat, war nach dem Ende der Revolution und Napoleons jeder freie Mucks verboten. Friedhofsruhe in Europa. Biedermeier. Zensur. Haft. Stumpfsinn und Flucht ins Träumerische.»
    «Das Maß, das Maß zwischen Alt und Neu, in allen Belangen», beschwor Golo Mann, «das Delikate retten. Wir haben zuviel Grausames erlebt, um nicht, im Namen der Seele, aufs Behagen zu pochen. Ach, Gentz», seufzte er, «die Nationalisten haßten diesen Kosmopoliten. Die Demokraten und Sozialisten verdammten den Reaktionär.»
    «Nicht schön.»
    «Ich, ich meine er selbst, dieser feine Theatergänger, in dessen Wohnung die Gäste in dicken Teppichen fast bis zu den Knöcheln einsanken – vielleicht auch eine Methode zur Weltdämmung –, dieser Liebhaber schöner Menschen, elegante Stilist, der Heinrich Heine – an diesem Ort dürfen wir den rebellischen Dichter von Deutschland in der Nacht geradezu beschwören – über alles schätzte und ordnungshalber verbot, er schreckte im Grunde vor jedem harschen Entschluß zurück und fragte sich mustergültig, ja, höchst modern am Ende selbst: Wozu denn nun dies oder jenes? Hat denn irgend etwas einen Sinn? Als einer, der viel alleine lebt, von keiner Familie und keinem festen Freundeskreis geschützt abends nach Hause kommt, wo nur toter Luxus ihn erwartet, muß man sehr auf seine Stimmung achtgeben, das Glück jedes Tages resümieren.»
    «Sagte er oder sagen Sie?»
    «Gentz. Der Zar verlieh ihm einen Orden und der brasilianische Kaiser das Kreuz des Südens. Über diesen Beweger aus dem Hintergrund, den Freigeist, der zum Hüter von Vergehendem, Vergessenen wurde …»
    «Zensor und Unterdrücker offenbar auch.»
    «… eine Gratwanderung, habe ich mein erstes Buch

Weitere Kostenlose Bücher