Königsallee: Roman (German Edition)
exterioren! Hattest dich seit jungen Jahren mit Schopenhauers Wort gegen Vergänglichkeit gewappnet und hast, parbleu!, als Corpus vor dem Verschweben des klugen Griesgrams Philosophie schon üppig ausgelebt, das neunundsiebzigste Jahr: Das Leben kann, allem zufolge, allerdings angesehn werden als ein Traum, und der Tod als das Erwachen. – Kühn gestellt aller Elendiglichkeit und Nichtigkeit hat sich der Danziger. Ein Held im kosmischen Nebelgefecht, auch das muß sein. Und feinste Prosa. Unaufgeregte Führung durch die Kellergänge des Seins. Großes neunzehntes Jahrhundert! Brüten übers Ich und seinen Pfad, während draußen damals die neuen Maschinen zu toben begannen. Geisthauer, na, warten wir’s ab, Schopenhauer, wann wo welch Wachen und welch Träumen ist! Mit dir und deinem Pessimismus ist die Seele jedenfalls nie allein, Dank sei dir, schroff-warmherziger Grübelist, was uns zustoßen kann und zernichten will, dem hast du die Würde der Trauer entgegengestellt, die Klagen Andromaches um Hektor, Klage Mariä unterm Kreuz, Aufschrei der Gefangenen im herrlichen Fidelio, groß; edel und in Verzweiflung schöpfungsnah des Schwanenritters Abschiedssang von Elsa und den Recken von Brabant, o Elsa, was hast du mir angetan! Jetzt muß ich, ach! von dir geschieden sein. Schon zürnt der Gral, daß ich ihm ferne blieb. – Ach, so viel Scheiden! Kaum, daß Blicke sich trafen und deuteten. Früh verstorben, Armin Martens, holder, hehrer, starker Schulgeselle … der du nun Hans Hansen bist und bleibst, in alle Ewigkeit das Idol des Tonio Kröger. Kann’s dich trösten, munterer Armin? Deine Arme hätten noch zugreifen wollen im bunten Leben. Ich besinne mich mit Schopenhauer, denn in Frühe muß man sich rüsten: Im weiteren Sinne kann man auch sagen, die ersten vierzig Jahre unsers … wie schön sein Prosarhythmus ist! … Lebens liefern uns den Text, die folgenden dreißig den Kommentar dazu, der uns den wahren Sinn und Zusammenhang des Textes, nebst der Moral und allen Feinheiten desselben, erst recht verstehn lehrt … Bravo, deutscher Denker, ohne Schnickschnack betrachtest du den Werdegang. Bei einem Briten geräte es womöglich zu adrett, dem Franzosen steht seiner Sprache Glanz dem schlichten Befund entgegen. Immer gloire und Nasales, das allzu Gleißende … contre qui que ce soit! …, lassen noch den bedachtesten Franzosen wie auf einer Glasplatte überm Abgrund schweben, der Franzose – merkwürdig – existiert fürwahr und mitunter hellsichtigst und profund, doch seine schöne Sprache vereitelt gewissermaßen seine Existenz, er gleitet, spreizt sich und parliert. Die Melodei trägt ihn davon. O Reichtum, unüberwindlicher, zumindest unersetzlich – die Welt wär’ Wüste ohne dich – Europa! Kleinod der Kleinode, Vielfalt, Subtilstes, Born der tausend Genüsse und Reibereien. Europa, das ist noch immer das Hofzeremoniell Burgunds! Kein ausgefeilteres gab’s je.
Der Schleim wacht mit mir auf, Auswurf des Körper-Ich, und rasselt dreist. Und das Ohr? Wird’s gleich triefen? Seit Jahr und Tag, kein Arzt in Princeton, Pacific Palisades oder in Zürich vermocht’s zu bannen. Tüchtiger wirtschafteten die Dentisten mit meinem spröden Kauwerkzeug, bis nach manchem Kampf naturgemäß kein Stiftzahn übrigblieb, schon 1918 auf dem Veloziped schmerzgeplagt durchs revolutionäre München zu Dr. Gosch in Schwabing, der zu reinigendem Arsen griff, mit Katias selbstmörderischem Chauffeurdienst in Santa Monica zu Dr. Cooper, zur Restabwicklung von einstgem Biß, von Erika nicht minder riskant chauffiert, zu Dr. Guldener. Die Zahnarztstühle der Welt kenne ich, fürchte ich und muß sie trotzdem schätzen. Mit dem Kundigen, den Bohrer in der Hand, teilt man sein Leid. Alles Ungemach nahm den Nerv zum Zahn.
Mürbe Gedanken fort!
Vorzeitiges Totenreich, weg!
Damast doch immerhin.
Ließest doch einst in dem ehrbaren Possenspiel um die Charlotte Buff, die mit rosa Schleifchen am Kleide dem alten Geheimrat ihre späte Aufwartung machte, die schon knittrige Lotte dem staats- und weltgewichtigen Werther, ließest da also in Weimarer Morgenfrüh den Giganten – dessen Seele dies geordnete Atomgeschwirre, zwei Verschen Faust um neun, ein Briefchen an den Großherzog um zehn und gegen elf Uhr Diktat von «Sah ein Knab’ ein Röslein stehn» –, den ließest du geschmeidig, kraftvoll erwachen! Wie in gewaltigem Zustande? In hohen Prächten? Brav, Alter! So sollst du, muntrer Greis, dich nicht betrüben …
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