Königsallee: Roman (German Edition)
das Lied verklungen? Aber wir sangen’s! Alle Jahre wieder für etwas Festes und Schönes im schwankenden Kahn des Lebens! Weihnachten feiern, das verstanden die Manns von altersher … Und es brannten die Gasarme, die aus den Wänden hervorkamen, und es brannten die dicken Kerzen auf den vergoldeten Kandelabern in allen vier Winkeln. Geschenke, die auf der Tafel nicht Platz hatten, standen nebeneinander auf dem Fußboden. Ich, Hanno, war vollständig verwirrt. Zur Erfrischung gab es auch Weingelée in Gläsern, wozu englischer Plumcake gegessen wurde. Es war der Überfluß des Glücks … Bei den Pringsheims ging’s weniger heimelig-innig zu, sportiver. Und so ward ich Bürger, allmählich durch viel Fleiß und Contenance in zerrupfenden Stürmen – die Inflation, fast alles futsch –, gar Oberbürger dieses Drecksvolks! Aber obendrein noch Weltbürger, Gott sei Dank. Nehru ermunterte ich zum Aufbau funktionierender Justiz in seinem neuen Indien; wo war’s noch? San Diego. Und zum Widerstand gegen das Entsetzlichste. Nicht auch noch Indien soll Bomben bauen und auch werfen können, die unterm Glutpilz des Daseins Ende sind. O Menschen, ich bin betagt, ihr aber steht vor dem Abgrund, der ein endgültiger ist. Nehru hörte zu, Indiens Präsident nickte, es gibt ein Fünklein Hoffnung.
Buddenbrooks! Wie kam’s dazu? – Daumen und langer Finger schnippten überm Plumeaudamast. – Weiß nicht, tatsächlich nicht.
In Italien. Müßiges Jahr, gefährliche Bummelei mit Heinrich in Palestrina. Flanieren und Gesitze im Café Condottiere. Schmale, doch angenehme Apanage aus dem Erbe. Eigentlich das Nichts vor Augen, vielleicht Berichte abfassen mit Ärmelschonern in irgendeinem Bureau. Junger Fant, allerdings der gelenkigste und betörendste wohl nicht, eher mit lübischem Plastron im Gemüt. Buon giorno, signora. Desiderei un posto all’ombra. Ma non troppo esposto di vento. Vorher bis zum Italienjahr nur In-die-Welt-Geglotze, berauscht von Puppenspiel und Wagners Schwanenrittersang im Stadttheater, mäßiger Schüler, sitzengeblieben!, sogar im Pubertieren gewisse Primelhaftigkeit – die Crème der Hanserepublik –, Dilettieren auf der Geige, Kratz-Kratz und eine unsichere Melodie, verschnupft des öfteren, drum herum das mähliche Absterben von Lübecks Handelsglorie – Senat in span’scher Tracht und Halskrause, doch kein Gold mehr in der Kasse –, dazu dies Mitsinken der Familie; Tanzunterricht, wie sich’s gehört, bei Maître Knaak, nein, Knoll hieß er, von Hamburg, bevor ins Buch er kam; beleidigt die einen, weil sie skurril ins Buch gerieten, Altonkel Friedrich, der sich zeitlebens erboste, der hinfällige Christian zu sein; beleidigt am Ende die anderen, weil sie nicht verewigt wurden. Pech gehabt im Dichterradius. Schrecklich: nicht viel erfunden, oft eher nachgezeichnet. Nordpol der deutschen Kultur? So manches geschmiert und gekritzelt; ewiges Vergessen verberge immerdar die Verse von Dichters Tod: Noch einmal laßt schäumend erklingen/die Becher in jauchzender Reih’! – Doch, immerhin! Schwungvolles. Fast jeder schrieb, und sei’s fürs Poesiealbum. Fast jeder las. Bücher, das Imperium, das über alle Geister gebot, sie lenkte, sie befruchtete. – Firlefanz verfaßt, weniges, bis Italien kam. Heinrich war dort schon mächtig am Seitenfüllen, heroisch lüsterne Götterromane, Triumph der Vagina, Großgesudel, doch eklatant … und bald erfolgreich. Ich aber, angstvoll in das Leben spähend, fingerte am Bleistift. Was war’s in mir? Genie – bin ich denn das? Ein Vulkan, aus dem stets das Rechte sprüht? Hellhörig war ich wohl stets gewesen und ein Augenmensch. Das ja! Das mit Gewinn; läg’ ich sonst hier altersberühmt, am Nordkap noch gelesen, am Rhein? Ich fing an. Ganz einfach. Ich begann. Schau, schau. Und was war denn daran schwer? Ich erzählte, was zu erzählen war: «Was ist das. – Was – ist …» – Das fragte ich mich in der Tat, falls ich in Klammern denken darf. – «Je, den Düwel ook, c’est la question, ma très chère demoiselle!» Die Konsulin Buddenbrook, neben ihrer Schwiegermutter auf dem mit einem Löwenkopf verzierten Sofa … Da war sie, die Familie in der Mengstraße, offenbar seither der Deutschen spannendste Familie, denn was weiß man jetzt schon von der meinigen? Die Manns und die Manns in Konkurrenz, als Buddenbrooks und als Künstlersippe. Spaßig beinah. Verdrießlich hingegen, ich darf’s nicht anders nennen, den Preis zu Stockholm, diesen
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