Königsallee
locker. »Du hast sicher von dem Mord an Robby Marthau gehört. Er arbeitete in der Disko deines Mandanten Manfred Böhr und wir haben einen Zeugen dafür, dass Marthau in die Artnapping-Sache verwickelt war. Am Freitagabend wird Robby erschossen, wenige Stunden später wirst du halb totgeschlagen. Das ist doch kein Zufall!«
Edgar öffnete die Augen wieder.
»Rede mit mir!«
Sein Bruder flüsterte: »Polizistengehabe.«
Wütend stürmte Reuter hinaus, streifte den Kittel ab und schleuderte ihn auf den Boden.
45.
Bevor Norbert Scholz klingelte, fegte er die Schuppen von den Schultern und überprüfte, ob sein Hemd richtig saß.
Carola Andermatt öffnete.
Ihr Anblick überraschte Scholz. Er hatte sich eine stämmige Frau mit der Haarfarbe ihrer Tochter vorgestellt, eine in die Jahre gekommene Mutter, wie Bettina es geworden war. Doch vor ihm stand eine zierliche Blondine im schlichten, schwarzen Kleid, kein Schmuck, volle Lippen, dezent geschminkt, hohe Stirn. Er musste genau hinsehen, um zu erkennen, dass sie bereits seiner eigenen Altersklasse angehörte.
Scholz stellte sich und seine Kollegin vor.
Henrikes Mutter ließ sich die Dienstausweise geben und verglich die Fotos. Mit höflichem Lächeln gab sie die eingeschweißten Kärtchen zurück. Eine elegante Frau, fand Scholz. Zugleich spürte er die Mühe, die sie für ihre Haltung aufbringen musste.
Die Hausherrin ging voraus. In der Diele erhaschte Scholz einen Blick auf den Zugang zur Souterrainwohnung: Die Tür stand auf, Techniker in weißen Overalls bei der Arbeit.
Das Wohnzimmer der Andermatt-Eltern übertraf den Traum aus Schöner Wohnen, den Scholz erwartet hatte. Von der Sitzlandschaft aus ging der Blick durch die Glasfront in einen Garten, der einem botanischen Park alle Ehre gemacht hätte. Drinnen Parkett aus dunklem Holz, an den Wänden glatt gespachtelter Putz im Champagnerton. Abstrakte Malerei, eine Bodenvase aus buntem Glas.
Der Couchtisch war leer geräumt bis auf ein gerahmtes Foto, das Henrike im Sonnenlicht zeigte – die Schönheit des Mädchens schien zu leuchten. Um den Rahmen schlang sich ein schwarzes Band.
»Mein Mann hat Termine«, sagte die Richtergattin. »Vielleicht haben Sie es schon gehört.«
»Es kam im Radio. Er geht in die Regierung.«
»Eine schwere Entscheidung in schwerer Zeit. Ich habe ihm dazu geraten. Wenn das Leben einen Sinn haben soll, dann müssen wir für eine bessere Welt eintreten. Ich habe auch meinen Charity-Abend nicht abgesagt. Sie kennen doch den Verein Düsseldorfer in Not? Wir sammeln für Obdachlose und arme Kinder, es gibt ja immer mehr davon. Man darf sich nicht unterkriegen lassen, nicht wahr? Wir handeln in Henrikes Sinn, da bin ich mir sicher.«
Scholz nickte. Marietta warf ihm einen Seitenblick zu.
»Herr Scholz, Frau Fink, wie kann ich Ihnen helfen?«
Sie hat sich sogar unsere Namen gemerkt, bemerkte Scholz.
»Hatten Sie am gestrigen Tag Kontakt zu Ihrer Tochter?«
»Sie war hier.«
»Wann?«
»Etwa um halb zwei klingelte sie und verlangte ihren Autoschlüssel. Mein Mann hatte ihn ihr abgenommen, nachdem der Anwalt sie zu uns gebracht hatte. Wir wollten nicht, dass sie in ihrem Zustand fährt oder überhaupt das Haus verlässt.«
»Und gestern?«
»Sie war völlig fertig und hatte getrunken, das war eindeutig. Also habe ich ihr den Schlüssel verweigert. Ich wollte mit ihr reden. Ihr sagen, dass sie sich bei Ihnen melden soll. Aber sie beruhigte sich nicht und ging wieder.«
»Wohin?«
»Das hat sie mir nicht gesagt.«
»Was könnte sie in Duisburg gewollt haben?«
»Duisburg?«
»Ja. Bevor sie bei Ihnen war, bat sie einen Freund, sie dorthin zu fahren.«
»Keine Ahnung. War sie dort – ich meine, in Duisburg?«
»Das wissen wir noch nicht.«
Frau Andermatt nickte. Die Lippen waren zusammengekniffen.
Marietta sagte: »Wir brauchen eine Liste von möglichst allen Leuten, mit denen Ihre Tochter näheren Umgang hatte.«
»Gern.«
Die Frau des Richters verließ das Zimmer und kehrte mit einem großen Lederetui zurück, das sie aufschlug. Briefpapier mit Wasserzeichen, ein edler Füller mit goldener Feder. Beim Schreiben erklärte sie: eine ehemalige Mitschülerin, mit der Henrike noch befreundet gewesen war. Eine Studentin, mit der sie gemeinsam gebüffelt hatte. Ein Freund, dessen Vater ebenfalls Richter war – beide Elternpaare hatten so sehr gehofft, dass die jungen Leute einmal heiraten würden. Es war Marius Karge. Frau Andermatt notierte noch drei
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