Koenigsblut - Die Akasha-Chronik
Stunden später stand ich erleichtert auf. Geschafft! Ich hatte die letzte Prüfung mit einem halbwegs guten Gefühl hinter mich gebracht. Langsam ging ich zwischen den leeren Reihen hindurch, legte meine Arbeit ordentlich auf das Pult von Herrn Hauptmann und verließ das Zimmer, ohne mich noch einmal umzusehen. Nachdenklich schloss ich die Tür hinter mir.
Ich hielt mich für einen guten Beobachter, doch wie der dunkelhaarige Junge, der als Erster seine Arbeit abgegeben hatte, in das Klassenzimmer gekommen war, hatte ich nicht bemerkt. Mit großer Sicherheit hatte mich die unlösbare Aufgabe mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung so erschlagen, dass ich nicht gesehen hatte, wie er nach mir den Raum betreten und Platz genommen hatte.
Ich schlenderte langsam den leeren Gang zur Schultür hinaus und versuchte an etwas anderes zu denken. Was ging er mich schon an, vielleicht musste er nur eine Prüfung wiederholen.
Dummerweise ließ mich der Gedanke an ihn nicht los. Er war mir noch nie in der Schule aufgefallen. Ich hatte zwar nur einen kurzen Blick von hinten auf ihn geworfen, als er völlig unerwartet in der ersten Reihe aufgestanden war, aber seine große und kräftige Statur, der federnde Gang und die schwarzen Haare, die sich bis in den Nacken auf seiner sonnengebräunten Haut ringelten, hatten für den Bruchteil einer Sekunde ein unwiderstehliches Interesse in mir geweckt. Ich verscheuchte den Gedanke und trat in den hellen Sonnenschein hinaus. Nach dem stundenlangen Sitzen in dem dunklen Klassenraum brannte die Sonne in meinen Augen. Ich blinzelte eine Träne weg und atmete tief die sommerlichen Gerüche ein. Das Studium würde erst im Oktober beginnen, also lagen endlos lange Ferien vor mir. Die Abschlussprüfungen waren gut gelaufen und damit war ich frei. Ich genoss das Gefühl, schlenderte über den Schulhof und kickte gedankenverloren gegen einen Stein. Im Schatten der Platanen beschloss ich, auf Liana zu warten. Sie wusste alles und kannte jeden in der Stadt. Vielleicht wusste sie auch, wer der Unbekannte war. Ich wurde jäh von einem aufheulenden Motor aus meinen Gedanken gerissen, der das leise Zwitschern der Vögel überdröhnte. Aus den Augenwinkeln konnte ich gerade noch den Fahrer des kleinen, schwarzen Sportwagens erkennen, der mit quietschenden Reifen den Parkplatz der Schule verließ.
Er war es, der dunkelhaarige Junge. Eine elektrisierende Unruhe überfiel mich. Auch diesmal konnte ich sein Gesicht nicht erkennen, obwohl ich mit zusammengekniffenen Augen hinter ihm her starrte. Zwischen meinen zusammengepressten Lippen rutschte mir ein Fluch heraus, als ich plötzlich in einer Staubwolke stand, die der Wagen aufgewirbelt hatte.
„Was ist los, lief Mathe schlecht?“ Lianas Stimme ließ mich umfahren.
„Nein, Mathe lief gut. Ich meine den arroganten Kerl, der mit uns die Prüfung geschrieben hat“, schimpfte ich, während ich mir den Staub aus der Kleidung klopfte.
„Du meinst den äußerst attraktiven Adam?“, antwortete Liana seufzend und sah mich gespannt an.
„Adam?“ Ich zögerte kurz. Der Junge, den ich soeben gesehen hatte, hatte nichts mit dem schmalen Adam aus meiner Erinnerung zu tun, es sei denn, er hatte sich während seines Auslandaufenthaltes einer kompletten Rundumerneuerung unterzogen.
„Warum hat er mit uns die Abschlussprüfung geschrieben? Ich dachte, er hat seinen Abschluss schon in Amerika gemacht“, fragte ich Liana, während wir zum Ausgang des Schulhofes schlenderten.
„Hat er auch, aber Professor Espendorm verlangt, dass er sich auch den örtlichen Prüfungen unterzieht, damit in Tennenbode alle Studenten denselben Stand haben.“
Ich blickte Liana überrascht an. „Woher weißt du das immer alles? Wirklich erstaunlich.“
Sie grinste stolz. „Danke, meine Großmutter sitzt ja auch an der Quelle aller Informationen, es ist von Vorteil, wenn man den einzigen Lebensmittelladen in der Stadt betreibt. Genaugenommen hat ihr Frau Torrel gestern alles mit stolzgeschwellter Brust erzählt. Vielleicht interessiert es dich auch, dass Adam die übrigen Prüfungen gestern im Büro des Direktors geschrieben hat, alle hintereinander, weil die Familie erst vor zwei Tagen angekommen ist. Er scheint also ein ziemlich kluges Kerlchen zu sein. Ah!“ Vertieft in unser Gespräch war Liana über eine Bordsteinkante gestolpert. Routiniert fing ich sie auf, denn über diese Bordsteinkante stolperte sie mindestens einmal in der Woche.
„Danke!“, sagte sie.
„Keine
Weitere Kostenlose Bücher