Königskind
Marschall de Biron nicht vergeben – denn dessen Verrat hatte Henri
tatsächlich bestraft, indem er Birons Kopf dem Henkersbeil auslieferte.
Sehr früh, und wenn meine Erinnerung nicht trügt, zwei Jahre vor Concinis Erhebung zur Marschallwürde beobachtete ich, wie
kitzlig der kleine König im Punkt des Respekts war, den die Großen ihm schuldeten.
Als er eines Tages, von Souvré und mir begleitet, die Gemächer der Königin betrat, stieß er in ihrem Kabinett auf drei der
größten Seigneurs des Reiches: den Comte de Soissons, zweiter Prinz von Geblüt, den Herzog von Guise, meinen Halbbruder, und
den Herzog von Bouillon. Die arme Regentin versuchte, so gut sie konnte (das heißt ziemlich schlecht) einen Streit um einen
Vortritt zu schlichten, der zwischen dem Comte (dem pingeligsten Verfechter der Etikette) und dem jungen Herzog von Guise
ausgebrochen war. Der Herzog von Bouillon, sonst ein großer Intrigenstifter, saß abseits, weil er sich diesmal nicht einmischen
wollte. Der kleine König sah also, daß die Königin stark beschäftigt war, und blieb abwartend stehen, Souvré und ich hinter
ihm.
Da kam in forschem Schritt der Prinz Condé herein, setzte sich, ohne Kniefall vor der Königin und ohne vor dem König den Hut
zu lüften, neben den Herzog von Bouillon und begann leise mit ihm zu reden.
Ludwig empfand die Unziemlichkeit dieses Betragens sehr lebhaft. Laut Protokoll hatte kein Seigneur, so groß er auch war,
das Recht, in Gegenwart des Königs bedeckt zu bleiben und schon gar nicht, sich zu setzen, ohne daß er vom König dazu aufgefordert
war.
Entrüstet wandte sich Ludwig zu Monsieur de Souvré um und sagte durchaus nicht leise: »Monsieur de Souvré, seht doch! Seht
den Herrn Prinzen! Er setzt sich vor mir! Er ist unverschämt!«
|226| Souvré nun, der die Königin höchst unbeholfen in einem Streit stecken sah, dessen Sinn sie nicht einmal verstand, wollte ihre
Nöte nicht noch vermehren und tat sein Bestes, seinen Zögling zu besänftigen.
»Sire«, sagte er, ohne den Prinzen zu nennen, »das ist nur, weil er mit Monsieur de Bouillon spricht. Er wird Euch nicht gesehen
haben.«
»So«, sagte Ludwig, »dann stelle ich mich neben ihn, wir werden ja sehen, ob er dann aufsteht.«
Gesagt, getan. Ludwig näherte sich dem Prinzen Condé. Nichts geschah. Noch näher, und noch einmal, fast konnte er ihn berühren.
Der Prinz Condé geruhte weder, ihn zu sehen, noch seinen Hintern vom Stuhl zu erheben.
Da drehte sich Ludwig zu Monsieur de Souvré um und sagte, weiß vor Zorn und mit schmalen Lippen: »Monsieur de Souvré, habt
Ihr gesehen? Er ist nicht aufgestanden! Er ist sehr unverschämt.«
Im Gefühl seiner königlichen Würde bestand Ludwig aber nicht nur auf den Formalien des Respekts. Der Leser wird sich erinnern,
daß jene Nadelgelder, die ich der Concini zahlen mußte, mit dem Abbild des Königskindes neugeprägte Goldstücke waren. Am selben
Tage sah ich Ludwig ein solches Goldstück lange betrachten, vielleicht war es ihm von Monsieur de Souvré auf Befehl der Königin
übergeben worden. Und außer daß er sich im Lauf der folgenden Jahre oft beklagte, daß ihm von diesen schönen, glänzenden Münzen
so knickrig gegeben wurde, während die Regentin die beiden Concinis und die Großen damit überschüttete, muß er schon an jenem
Tag, als er das Goldstück seiner Herrschaft zum erstenmal in den Fingern drehte und wendete, sich eines seiner wichtigsten
königlichen Vorrechte bewußt geworden sein; und weit entfernt, es jemals zu vergessen, scheute er sich schon in seinen Kinderjahren
nicht, die Großen daran zu erinnern. Ludwig hatte ein zähes Gedächtnis, wenn es sich nicht um lateinische Konjugationen handelte.
Er war noch keine zehn Jahre alt und gerade bei seiner Lateinstunde, als der Prinz Condé in Begleitung des Herzogs von Longueville
ohne weiteres in sein Kabinett trat und der Herzog von Longueville dem König einen Wahlspruch vortrug, den er auf eine Münze
setzen wollte, die er zu schlagen gedachte.
|227| So geduldig wie aufmerksam lauschte der kleine König seinen Worten, dann sagte er rundheraus: »Ich will nicht, daß dieses
Geld in Frankreich in Umlauf kommt.«
Der Herr Prinz schaltete sich ein, und wie vorauszusehen, war seine Rede kein Wunder an Takt.
»Aber, Sire«, sagte er, »für die Erlaubnis, diese Münze zu schlagen, zahlt Euch Monsieur de Longueville tausend Ecus.«
Anders ausgedrückt: Condé hatte die
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