Königskind
Konkurrenz gewachsen war, von seinen in der ganzen Provinz berühmten Kastanienholzfässern,
seinen Nußbäumen, seinen Trüffeln und Trüffelschweinen, von seinen Nachbarn, Monsieur de Puymartin, dem freigebigen Katholiken,
oder Monsieur de Caumont, dem geizigen Hugenotten, von seinem zahlreichen Gesinde, wo er jeden mit Alter und Namen kannte,
auch die Kinder und Kindeskinder, und endlich von seinen vielen Liebschaften (indem er zu verstehen gab, daß er durchaus nicht
›abgesattelt‹ hatte) und seinen unzähligen Bastarden, die alle im Schloß aufgewachsen und gut ausgestattet und versorgt waren.
Besonders gern erwähnte er Mademoiselle de Fonlebon, die im Jahr 1610 den greisen Monsieur de Caumont gepflegt und deren Schönheit
auf den Baron von Mespech einen unauslöschlichen Eindruck gemacht hatte. »Verflixt, Herr Enkelsohn, warum habt Ihr sie nicht
geheiratet? Ein so vermögendes Frauenzimmerchen, sie hätte ihr Schlafzimmer mit Goldstücken pflastern können! Glaubt Ihr,
eines meiner Trüffelschweine hat sich je gesträubt, einen Zwei-Livres-Trüffel zu schnüffeln?« – »Es schnüffelt ihn, aber frißt
ihn nicht!« lachte ich. Der Baron von Mespech lachte mit, und seine blauen Augen strahlten vor Jugend in dem wettergegerbten,
runzeligen Gesicht, so daß ich nicht verwundert gewesen wäre, hätte ich erfahren, unser Herrgott habe beschlossen, ihm wie
Moses noch weitere zwanzig Jahre zu gewähren, ohne daß ›seine Augen schwach geworden wären und seine Kraft verfallen war‹. 1
* * *
Just am Tag unserer Heimkehr lud sich die Herzogin von Guise im Champ Fleuri zum Abendessen ein und verlangte von meinem |230| Vater als erstes, daß er nicht Mariette auftragen lasse, »die ser Klatschbase mit ihren großen Ohren«, wie sie sagte, sondern den verschwiegenen Franz. »Denn ich habe Euch Neuigkeiten mitzuteilen,
die strengste Geheimhaltung erfordern.« Was, zum Teufel, sollte aber die Geheimnistuerei, da eben diese Neuigkeiten, wie man
anderntags feststellen konnte, freiweg in Hof und Stadt kursierten? Allerdings ohne die außerordentlichen Hintergründe, die
meine liebe Patin uns dazu mitteilte.
»Gerechter Himmel!« begann sie (und ernannte sich beiläufig zur drittwichtigsten Person des Reiches), »ich weiß wahrhaftig
nicht, wohin es noch mit uns kommt, der Regentin, dem König und mir. Wie jetzt die Dinge laufen, sinkt die Regentschaft in
Staub, verliert Ludwig sein Szepter und wird das Reich, um es ganz offen zu sagen, von Wurmfraß und Fäulnis zersetzt bis in
die Wurzeln.«
»Nana, nana!« sagte mein Vater, »das ist ja apokalyptisch! Ihr übertreibt doch, Madame! Um was für Würmer handelt es sich
denn?«
»Der Hochadel, natürlich!« sagte die Herzogin von Guise. »Immer der Hochadel! Gott sei Dank, mit Ausnahme meines Sohnes Guise
und d’Épernons, die am Hof bleiben, haben uns alle verlassen! Einer nach dem anderen! Lüge im Mund und in den Augen Drohung!
Allen voran dieser Bastard Condé.«
»Madame!« sagte mein Vater, »wie sprecht Ihr vom Ersten Prinzen von Geblüt!«
»Ist es nicht die nackte Wahrheit?« sagte die Herzogin aufgebracht. »Als seine Mutter, die Trémouille, ihn empfing, vögelte
sie mit einem Pagen, und von seiner Hand hat sie ihren Mann vergiften lassen, als er von einer Reise zurückkehrte, damit er
keine Fragen nach ihrer Schwangerschaft stellen konnte.«
»Ein Gericht hat sie freigesprochen, Madame«, sagte La Surie.
»Ja, aber ein hugenottisches Gericht! Das zählt nicht! Außerdem«, setzte sie rasch hinzu, als sie meinen Vater die Stirn runzeln
sah, »braucht man sich doch bloß Condés Nase anzusehen. Die springt vor wie ein Adlerschnabel, während die Bourbonennase lang
und geschwungen ist. Außerdem, wo hat man je einen Bourbonen gesehen, der so mager und mickrig ist? Und das Schlimmste: obwohl
verheiratet, ist er stockschwul! |231| Dagegen sind Bourbonen, wie Ihr wißt, alle ausgesprochen dem anderen Geschlecht zugetan.«
»Und soweit es sich um Euch, Madame, handelt«, sagte mein Vater, halb vom Sitz erhoben, mit einer kleinen Verneigung, »ist
dies eine Tugend.«
»Larifari, Monsieur!« sagte Madame de Guise. »Lassen wir doch die Scherze, wenn das Haus brennt! Um wieder auf Condé zu kommen,
dieser schwule Bengel hat das Ganze eingeläutet: Nimmt seinen Urlaub vom König und von der Regentin und sagt, er ziehe sich
nach Châteauroux zurück, kehre aber unverzüglich zurück an den Hof, sobald er
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