Königskind
meine, ihr legitimer jüngster Sohn, nur drei Jahre älter als ich –
in Baux-en-Provence durch die Explosion einer Kanone tödlich verunglückt, als er die Lunte selbst hatte zünden wollen.
Der Gewalttätige hatte gewaltsam geendet. Der Herzog von Guise hatte ihn jedesmal zu seinem Degen gemacht, wenn er die Interessen
seiner mächtigen Familie verletzt fand. Und von ihm angestiftet, hatte der Chevalier, wie ich bereits erzählte, auch den alten
Baron de Luz getötet, bevor dieser überhaupt blankziehen konnte: eine abscheuliche, verräterische Tat, ganz nach der Art des
Herzogs selbst. Während der Bürgerkriegsjahre hatte er zu Reims Monsieur de Saint-Paul unvermittelt erschlagen, weil der ihm
den Befehl über die Stadt streitig machte.
Madame de Guise sagte mir in La Noue, in der Seele des Chevaliers sei kein Falsch gewesen, sein einziges Unrecht habe darin
gelegen, den Befehlen seines ältesten Bruders zu gehorchen. Während der drei Tage, die wir in La Noue logierten, verbrachte
mein Vater, treuer in seinen Freundschaften als in der Liebe, täglich viele Stunden mit Madame de Guise, um sie zu trösten.
Ich löste ihn ab, wenn er zu Madame de Cé zu Tische ging, die, wie La Surie mir versicherte, dabei zu essen vergaß, so sehr
war sie beschäftigt, ihn mit den Augen zu verschlingen.
Überrascht traf ich meine liebe Patin eines dieser Tage zu La Noue an, wie sie zulangte für drei. Auf meine erstaunten Blicke
hin erklärte sie kleinlaut, wenn sie unglücklich sei, könne nur Essen ihr über die Trauer hinweghelfen. Ich bezweifle gar
nicht, daß ihre Trauer tief war, doch steckte in meiner lieben |281| Patin eine solche Lebenslust, daß sie ihr ganzes Wesen durchpulste und der Trübsal einfach keine Bleibe bot.
»Papperlapapp, Herr Sohn!« sagte mein Vater, als ich ihm diese Überlegung vortrug, »essen muß man, aber zuviel essen ist eine
Angewohnheit, und die teilt Eure gute Patin mit etlichen Herrschaften vom Hofe und im besonderen, wenn ich ihr glauben darf,
mit dem kleinen König.«
Das war nur zu wahr, und ich will hier ein Beispiel dafür bringen, das mich, als es mir berichtet wurde, ziemlich amüsierte.
Am achtundzwanzigsten Juli, als er von Châtellerault aufbrach (wo er, wie man sich erinnern wird, ein paar ›Kleinig keiten ‹ für seine Geschwister eingekauft hatte) und nach Poitiers fuhr (wo er nur zu erscheinen brauchte, um Condé die Stadt zu
nehmen), war der König um halb sieben aufgestanden und hatte gefrühstückt – und reichlich gefrühstückt, wie üblich –, bevor
er die Karosse bestieg. Aber nach kaum einer Meile, als er am Brunnen von Nerpuis vorüberkam, sah er auf einer Wiese fröhlich
schmausende Edelleute.
»Was ist das?« fragte er.
»Der Seigneur de L’Isle Rouet«, sagte Monsieur de Souvré, »gibt den Freßsäcken vom Hofe ein Frühstück.«
»Da will ich hin!« sagte Ludwig und ließ sogleich halten. Er stieg aus, lief zu den Tafelnden und sagte vergnügt: »So! Jetzt
bin ich auch bei den Freßsäcken vom Hofe!«
Man räumte ihm einen Platz ein, er machte sich ans Werk. Es war ein Frühstück von epischen Ausmaßen und, wenn ich so sagen
darf, hochtrabend dazu, denn der Gardehauptmann de la Curée, eine große, befleckte Serviette vor der Brust, holte jedes Gericht
zu Pferde aus der Küche und trug es, immer zu Pferde, den Schlemmern herbei, wobei er sich im Trab sein Teil ohne Gabel und
Messer, freiweg nur mit den Fingern nahm, daher die bekleckerte Serviette.
Ludwig allein verzehrte zwei Rebhühner, zwei Hühnchenmägen, eine halbe Ochsenzunge und tränkte alles mit einem Kelch Weißwein.
Und höchst vergnügt rief er Monsieur de l’Isle Rouet zu: »Adieu, mein Wirt!« und sprang in seine Karosse.
Dieses zweite Frühstück hinderte ihn aber nicht, um ein Uhr in Jalné Mittag zu essen, zwei Stunden später einen Imbiß zu |282| nehmen und, um halb acht Uhr abends in Poitiers angelangt, sich ein Nachtmahl schmecken zu lassen. Laut Héroard hatten diese
fünf üppigen Mahlzeiten aber keine üblen Folgen, sondern beschleunigten seine Verdauung nur, so daß er, anstatt wie sonst
um sieben Uhr morgens zu erwachen, um ein Uhr nachts erwachte und nach dem rief, was unsere gute Mariette daheim ohne Umschweife
den Kackstuhl nannte, was aber bei Hofe unter dem Einfluß der Marquise von Rambouillet neuerdings schamvoll als der ›Stuhl
der Geschäfte‹ bezeichnet wurde.
»Auf die Dauer«, sagte mein Vater, als ich ihm
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