Königskind
die Geschichte vom Frühstück bei L’Isle Rouet erzählte, »bleibt diese Gefräßigkeit
nicht folgenlos für den Magen. Er erweitert und entzündet sich. Aber, Ihr kennt ja unsere Herrschaften! Außer daß sie sich’s
zur Ehre anrechnen, zuviel zu essen, weil die Armen nicht genug zu essen haben, steigert die Fresserei auch ihr Männlichkeitsgefühl
… Bei Ludwig handelt es sich allerdings eher um einen erblichen Zug, denn die Bourbonen stehen alle im Ruf der Schlemmerei.
So sein Großvater Antoine, so sein Vater.« (Und, würde ich hinzufügen, auch sein Sohn Ludwig XIV.)
Zum Glück hatte Ludwig von unserem Henri aber noch andere Eigenschaften geerbt als die Lust, sich zu stopfen. Der Leser wird
sich gewiß erinnern, daß der Herzog von Vendôme, Ludwigs illegitimer Bruder, grün, wie er war, glaubte, er könne sich in der
Bretagne, seinem Gouvernement, ein unabhängiges Fürstentum schaffen, und deshalb mit Hilfe des Herzogs von Retz mehrere bretonische
Städte befestigt hatte. Und weil der Vertrag von Sainte-Menehould ihm nicht die erwarteten Vorteile gebracht hatte, war er
nach der Unterzeichnung des Vertrags in Vannes einmarschiert und hatte sich der Burg bemächtigt.
Während die Regentin Stadt um Stadt die Loire stromab zog, sandte sie ihm erfolglos Botschaft auf Botschaft, und als sie sich
Nantes näherte, schickte sie ihm schließlich den Marquis de Cœuvres, damit er ihn zur Räson bringe.
Nun traf es sich durch Zufall, daß Ludwigs Karosse auf dem Weg von Poitiers nach Mirabeau derjenigen von Cœuvres begegnete,
der von seiner Mission zurückkehrte. Cœuvres hielt, stieg aus und grüßte Seine Majestät, und der König, der den |283| Kopf aus der Wagentür steckte, fragte ihn, was seine Gesandtschaft erbracht habe.
»Sire«, sagte der Marquis, »Monseigneur de Vendôme versichert Euch seiner Zuneigung und seines Gehorsams.«
»Was für eines Gehorsams!« sagte Ludwig kalt. »Noch hat er die Waffen nicht gestreckt.«
Sehr in Verlegenheit, reichte Cœuvres ihm einen Brief des Herzogs von Vendôme, aber der König nahm ihn nicht an und ließ ihn
Monsieur de Souvré übergeben. Und als Souvré ihm den Brief auf der Weiterfahrt vorlas, kommentierte ihn Ludwig ebenso ironisch
und entrüstet, wie er sich gegen den Marquis geäußert hatte.
Der Herzog von Retz, der Vendôme bei seinen militärischen Unternehmungen in der Bretagne unterstützt hatte, wurde aber noch
weit ungnädiger empfangen, als er zu Nantes vor dem König erschien.
Wir weilten bereits elf Tage in dieser guten Stadt. Und am zweiundzwanzigsten August endlich, bei einer Hitze zum Umkommen,
stellte sich der Herzog von Retz, der noch mehr Grund als wir hatte, Blut und Wasser zu schwitzen, im Schloß ein, um sich
zu unterwerfen.
Schmuck in seinem Wams, die Haare, Augen und Brauen dunkelbraun, war der Herzog von Retz der Urenkel des Florentiner Bankiers
Antoine de Gondi, der in Frankreich sein Glück gesucht und es zum Haushofmeister Heinrichs II. gebracht hatte. Er diente ihm
gut, und noch besser diente sein Sohn Heinrich III., der ihn zum Herzog und Pair ernannte. In dieser Familie, die sich durch
Treue zum französischen Thron auszeichnete, war der gegenwärtige Herzog der erste Rebell gegen die Königsmacht, zum großen
Kummer seines Onkels Philippe-Emmanuel, General der Galeeren, der trotz seines unfrommen Amtes ein sehr frommer Mann war und
sich aus Familiensinn entschlossen hatte, dem unbesonnenen Neffen trotz der Augustglut bei seinem Bußgang Rat und Stütze zu
bieten.
Er tat gut daran, denn dieser törichte Herzog von Retz, der immerhin siebenundzwanzig war, aber wie zehn Jahre jünger wirkte,
wußte dem König nach seinen bretonischen Wagestücken nicht mehr zu sagen, als daß er sich entschuldige, ihm nicht eher seine
Reverenz gemacht zu haben.
|284| Ohne dem Herzog die Hand zum Kuß zu reichen, ja ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, erwiderte Ludwig auf diese hahnebüchene
Entschuldigung kein Wort, so daß der Saal in drückendes Schweigen fiel und der junge Herzog, der Schritt für Schritt zurückwich,
sich mit hängendem Kamm unter die Fittiche seines Onkels flüchtete, der ihm sein langes Pferdegesicht zuneigte und vernehmlich
murmelte: »Auf, Herr Neffe, bringt es über Euch, in aller Aufrichtigkeit um Vergebung zu bitten.«
Der Herzog, weiß wie zu Fasten und dicke Schweißtropfen auf der Stirn, überwand sich endlich, näherte sich dem König
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