Königskind
Flucht aus dem Louvre hatte Vendôme nicht eine,
sondern ein Dutzend Aufforderungen erhalten, an den Hof zurückzukehren. Der zweite Teil – die ›Aufopferung seines Lebens‹
– war derart übertrieben, daß es schon an Schimpf grenzte.
Ich denke, Ludwig empfand es auch so, denn er erbleichte vor Zorn, und während er Vendôme aus funkelnden Augen fixierte, sagte
er mit zitternder Stimme: »Monsieur, dient mir in Zukunft besser, als Ihr es in der Vergangenheit getan habt. Und wißt, Eure
höchste Ehre auf Erden ist, daß Ihr mein Bruder seid.«
Diese Worte zeichne ich hier viele Jahre später auf, als ein alter Mann, der seinen Herrn überlebt hat, obgleich er jünger
war als ich, und der mit derselben Treue, die ich ihm stets bezeugt habe, nun seinem Sohn, Ludwig XIV., dient. Und sehr besonders
klingt in meinem Gedächtnis dieser herrliche Satz, den damals mein kleiner König sprach, durch den er seinen Halbbruder gleichzeitig
erinnerte, welches sein Ruhm war und welches die Grenzen dieses Ruhms. Ich weiß nicht, ob künftige Jahrhunderte diesen Satz
weitergeben werden. Meines Erachtens verdiente er es, denn er kündigt bereits jenen gemessenen, majestätischen Stil an, der
heute derjenige des Sohnes ist.
* * *
Mit Vendômes Unterwerfung hatte die große Reise gen Westen ihr oberstes Ziel erreicht und näherte sich ihrem Ende. Und so
langsam und vertrödelt die Hinfahrt gewesen war, so hurtig ging es jetzt heimwärts über Le Mans, Nogent-le-Rotrou, Chartres
und Bourg-la-Reine.
|287| Am sechzehnten September, durch vorauseilende Kuriere benachrichtigt, daß der König nach zwei Monaten und zehn Tagen in seine
Hauptstadt heimkehren werde, stürzten die Pariser auf die Straßen, zogen durch das Tor Saint-Jacques, überschwemmten den Vorort,
manche liefen, wie ich hörte, sogar zu Fuß bis Bourg-la-Reine, wo der König die Karosse verließ und sein weißes Pferd bestieg,
auf dem er feierlich in Paris einzog.
Eine unglaubliche Menge Volkes säumte von Bourg-la-Reine bis zum Tor Saint-Jacques und von dort bis Notre-Dame (wo Ludwig
ein Te Deum hörte) die Straßen, stand an den Fenstern und sogar auf den Dächern. Und unendlich froh, daß sein Fürst ihm Frieden
brachte, feierte ihn dieses Volk mit nicht endenden Freudenrufen.
Ja, die große Reise hatte das Poitou und die Bretagne aus den Klauen unserer Großen befreit. Doch sie hatte noch mehr bewirkt
für Ludwig und hatte in ihm eine subtile Veränderung eingeleitet. Für die Minister, welche die Regentin zu dieser Kavalkade
angeregt hatten, war es darum gegangen, den Franzosen ihren König zu zeigen. Aber für Ludwig hieß es, Frankreich zu sehen.
Frankreich war für ihn nicht länger nur ein schön gemaltes Bild auf Karton, es stand ihm auf einmal als eine begeisternde
Wirklichkeit vor Augen. Gewiß hatte er nur einen Teil seines großen Reiches gesehen, aber auch wenn er, wie er sagte, kein
›großer Redner‹ war, hatte er seine Schönheit bewundert, die Liebe seines Volkes gefühlt und die Macht empfunden, die allein
das Wort König besaß, da die Rebellion das Haupt senkte, sowie er erschien. Und von Anfang bis Ende dieser Reise und nicht
nur gegenüber Retz und Vendôme hatte er als König gedacht, gesprochen und gehandelt.
Gleichwohl gab es in diesem Gemälde auch Schatten. Man hatte die Großen eingeschüchtert, man hatte sie nicht besiegt, und
es stand zu erwarten, daß ihre Quertreibereien eines Tages von neuem beginnen würden. Und die Königin, welche die geheiligte
Person des kleinen Königs durch die Lande geführt hatte, um ihre eigene Macht zu festigen, begann seit der Heimkehr nach Paris
diejenige ihres Sohnes zu fürchten.
Ihre Minister rieten ihr nun zu einem Vorgehen, das ihrer langen Erfahrung entsprang: Königin Katharina von Medici hatte Karl
IX. damals vorzeitig für großjährig erklärt, um sich |288| des Neides und der Verdächtigungen zu entledigen, die dem Titel Regentin anhängen, und hatte fortan all ihre Entscheidungen
mit dem Namen ihres Sohnes abgedeckt. Wenn Ludwigs Mutter, so argumentierten die Minister, das gleiche täte, würde sie eine
weit absolutere Macht genießen, zugleich aber viel weniger exponiert sein.
Man brauchte nicht lange im Arsenal der königlichen Ordonnanzen zu suchen, um eine so vorgezogene Großjährigkeit zu rechtfertigen.
Nach einer von Karl dem Weisen 1 getroffenen Verfügung sollte der französische König mit dreizehn Jahren für
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