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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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abermals
     kniefällig und sprach mit tonloser Stimme: »Sire, ich bitte Euch um Vergebung und versichere Euch meiner Liebe und meiner
     Treue.«
    Der Saal hielt den Atem an, und Ludwig, der lange auf den knienden Herzog vor ihm niederblickte, sagte schließlich: »Monsieur
     de Retz, wenn Ihr mir Eure Liebe durch Taten bezeugen wollt, werde auch ich Euch lieben.«
    Obwohl Ludwig nichts in den Händen hatte, erschuf dieses ebenso niederschmetternde wie maßvolle Wort die Vorstellung, er säße
     auf seinem Thron mit der Hand der Gerechtigkeit, die er bei seiner Salbung empfangen hatte.
    Diese Szene machte auf mich einen so tiefen Eindruck, weil sie eine solche Klarsicht und Festigkeit im Charakter des Königs
     enthüllte, daß ich sie am selben Abend meinem Vater und La Surie schilderte. Dieser meinte nun, der Satz, den ich so sehr
     bewunderte, könnte doch auch im voraus von Souvré diktiert worden sein.
    »Täuscht Euch nicht, Chevalier!« sagte ich feurig, »der König spielt nicht mehr den Papagei, der jene Phrasen wiederholt,
     die Souvré ihm auf Anweisung der Minister schriftlich vorlegt. Vor fünf Tagen, als Ludwig im großen Saal des Jakobinerklosters
     die Landstände der Bretagne eröffnete, sprach er auch nicht die Worte, die man ihm in den Mund legen wollte, sondern ganz
     eigene.«
    »Und was waren diese ganz eigenen Worte?« fragte mein Vater.
    »›Meine Herren‹, sagte er, ›ich bin mit meiner königlichen Mutter hierher gekommen um Eurer Erleichterung und Ruhe willen.‹«
    |285| »Und was waren die von Souvré vorgeschriebenen Worte?« fragte La Surie.
    »Die hat Monsieur de Souvré mir nicht verraten, aber ich weiß, daß sie anders lauteten, weil er Ludwig, den das aber nicht
     rührte, die Abweichung vom Text vorgeworfen hat. Beachtet bitte, Chevalier, daß die den Landständen zu Nantes versprochene
     ›Erleichterung‹ und ›Ruhe‹ in Ludwigs Mund einen politischen Sinn hatte: sie bedeutete, daß der König den wiederholten grausamen
     Erpressungen ein Ende setzen werde, die Retz und Vendôme den Bretonen auferlegt haben.«
    Es gab tatsächlich Grund, sie, gestiefelt und gespornt, am Galgen aufzuknüpfen, wären sie keine Herzöge gewesen. Und nachdem
     Retz seine ›Kerls‹ zurückgezogen hatte (eine Soldateska, die sich gegen die wehrlosen Bauern die üblichen Gewalttaten geleistet
     hatte: Plünderung, Mord, Folter, Brandschatzung, Vergewaltigung), konnte Vendôme nicht mehr umhin, sich ebenfalls einzufinden
     und den König um Vergebung zu bitten.
    Ludwig saß beim Mittagsmahl, als der Herzog von Vendôme erschien und sich vor ihm niederwarf. Ludwig lüftete äußerst kühl
     seinen Hut, ohne sich auch nur zu Vendôme umzuwenden, und bedeckte sich wieder. In der höfischen Sprache bedeutete dies, daß
     Ludwig den legitimierten Sohn Henri Quatres, der als Herzog und Pair über den anderen Pairs des Reiches stand, wie einen kleinen
     Landedelmann behandelte.
    Trotzdem ließ Vendôme sich von diesem Empfang nicht aus der Fassung bringen. Kräftig, wohlgebaut, mit festem Blick, eigensinniger
     Stirn, energischem Kinn, mangelte es ihm nicht an Kühnheit, wenn auch nicht auf dem Schlachtfeld. Außerdem war er sieben Jahre
     älter als Ludwig, und weil Henri Quatre so unbedacht gewesen war, seiner Mutter ein schriftliches Eheversprechen zu unterzeichnen,
     hielt sich Vendôme im stillen für den wahren König und betrachtete Ludwig als Usurpator. Es hätte übrigens nichts genützt,
     ihn von dieser Torheit abzubringen, indem man ihm zu bedenken gab, daß der Tod von Gabrielle d’Estrées, bevor der König sich
     vermählte, jenes Versprechen hinfällig machte. Vendômes unbeirrbarer Glaube, daß er über Ludwig hätte stehen müssen, ruhte
     auf zu wackeligen Fundamenten, als daß er ihn anfechten ließ. Ohne sich jemals der Wirklichkeit zu beugen, nährte er in sich
     die |286| unerschütterliche Überzeugung von seinen Rechten, was auch erklärt, daß er ohne Scheu und Scham die königlichen Gemächer betreten
     hatte. Und unverzagt durch den eisigen Empfang, hielt er seine vorbereitete kleine Huldigungsrede: »Sire, ich habe nicht verfehlen
     wollen, vor Eure Majestät hinzutreten, sowie ich Euren ersten Befehl erhielt, um Euch meines unbedingten Willens zu versichern,
     Euer sehr ergebener und sehr geneigter Diener zu sein, welches ich Euch selbst durch Aufopferung meines Lebens zu bezeugen
     wünschte.«
    Der erste Teil dieses langen Satzes war eine dreiste Lüge, denn seit seiner

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