Königskind
volljährig erklärt werden. Damit hatte Karl, der ob einer
anfälligen Gesundheit sein Ende nahen fühlte, seinem ältesten Sohn das Joch einer langen Regentschaft ersparen wollen. Das
mißlang, denn der Wille eines toten Königs wird selten respektiert. Sein Ältester starb mit zwölf Jahren, und obwohl Karl
VI. im folgenden Jahr für großjährig erklärt wurde, mußte er noch acht Jahre die unbequeme Vormundschaft seiner vier Onkel
erdulden. Acht Jahre! Bis er zwanzig wurde.
Ludwig ließ sich vom trügerischen Schein, mit dem diese Großjährigkeit ihm schmeichelte, nicht blenden. Er verstand sehr wohl,
daß ihm dies nicht geschah, damit er regiere, auch wenn er, wiederum im Namen derselben Täuscher, nun öfter zum Rat gerufen
wurde.
Ebenso durchschaute er die Heuchelei, die sich hinter der Feierlichkeit verbarg, welche die Königinmutter der Erklärung seiner
Großjährigkeit verlieh. Das gesamte Parlament wurde im goldenen Saal des Gerichtspalastes versammelt, und Ludwig, der an Luxus
wenig Gefallen fand, wurde wie ein Götze in ein golddurchwirktes und diamantenbesetztes Gewand gesteckt. Ihm, dem die spanischen
Hochzeiten so sehr widerstrebten, nicht nur, weil er sich im Blute mit einer Dynastie verbinden sollte, die er als Feind der
seinen betrachtete, sondern auch, weil er dann auf immer von Madame getrennt würde, ihm wurde um den Hals – als Symbol jener
schmachvollen Verbindung – die Kette zu dreihunderttausend Ecus gelegt, die er der Infantin überreichen sollte, wenn sie seine
Gemahlin würde. Und schließlich gab man ihm acht Tage vor der Zeremonie eine Rede auswendig zu lernen, die er bei dieser |289| Gelegenheit halten sollte, und zwar vor versammeltem Parlament, vor seiner Mutter, den Prinzen von Geblüt, den Herzögen und
Pairs, den Marschällen des Reiches, den Ministern, den Offizieren der Krone, den ausländischen Gesandten und allem, was zum
Hof gehörte.
Diesmal kam es gar nicht in Frage, den Text, den man ihm in den Mund legte, durch Weglassungen oder Hinzufügungen zu ändern.
Nie waren seine Worte unfreier als an dem Tag, da man ihn für großjährig erklärte und für würdig, sein Reich zu regieren.
Nie war er dem Willen seiner Mutter mehr unterworfen als während dieser Veranstaltung, wo die Scheinheilige demütig das Knie
zu Boden neigte vor ihrem Sohn und ihm die Herrschaft übertrug. Wahrlich, man hätte ihr das Abendmahl ohne Beichte gegeben,
ihr sogar das Zeugnis einer guten Mutter ausgestellt, ihr, die diesen Sohn seit vier Jahren kein einziges Mal geküßt hatte,
nicht auf den Mund noch auf die Wangen oder die Stirn.
In der Woche vor dieser schrecklichen Komödie verzehrte meinen kleinen König aber eine andere Sorge. Er hatte Angst zu stottern,
wenn er vor so großer Gesellschaft seine Rede halten mußte. Am Abend vor der Zeremonie betete er mit aller Inbrunst auf Knien
und flehte um die Gnade, seinen Text am nächsten Tag ohne Fehl und Tadel zu sprechen. Durch Berlinghen erfuhr ich, daß er
danach zwar sogleich einschlief, dafür aber eine sehr unruhige Nacht hatte und um ein Uhr ganz in Schweiß gebadet erwachte.
Man entkleidete ihn, rieb ihn ab, wechselte sein Hemd, und endlich schlief er wieder ein. Als er aufstand, wirkte er wie umgewandelt
und klar entschlossen.
Was mich betrifft, versprach ich mir Gutes von seinem gefaßten und entschiedenen Gesicht, als ich ihn in dem Prunkgewand auf
seinem Lilienthron erblickte: ein Knabe im Angesicht von zynischen, unterm Harnisch der Intrigen ergrauten Würdenträgern.
Und ich bekenne hier, daß mein Herz klopfte wie das einer Mutter, die ihr Kind vor einer furchtbaren Prüfung sieht. Und furchtbar
war sie, denn das Schweigen, das eintrat, sowie er zu sprechen anhob, war nicht ohne Häme. So manche am Hof, die auf Seiten
seiner Mutter und der beiden Concinis standen, hielten Ludwig für einen stammelnden Idioten. Diese schäbigen Höflinge, die
unter mitleidigem Seufzen herumflüsterten, daß der König leider ›so wenig Verstand |290| wie Worte habe‹, erwarteten, ich würde sogar sagen, erhofften sich, er werde über jeden Konsonanten stolpern.
Sie wurden enttäuscht, denn mit klarer, lauter Stimme und ohne jedes Stottern hielt Ludwig die kleine Rede, deren erster Teil,
obwohl er ihn so wenig abgeändert hatte wie den zweiten, seinem inneren Empfinden, wie ich mir sicher bin, nicht widersprach.
»Messieurs, durch göttliche Gnade in das Alter der
Weitere Kostenlose Bücher