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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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umschlungen, solange es durch die Stadt ging, hielten sie ja ihr Schluchzen zurück.
     Aber dann kam der Halt, eine halbe Meile nach dem Tor Saint-Julien, wie abgesprochen. Wir stiegen aus, und da brach die Verzweiflung
     los. Sie lagen sich in den Armen, schmiegten die Köpfe aneinander, küßten sich die Gesichter, weinend, schluckend und schluchzend,
     und schrien, es hätte einen Tiger erweicht! Ich kann Euch versichern, keine von uns fünf hatte trockene Augen, ohne Rücksicht
     auf unsere Schminke, sogar die Prinzessin Conti – Ihr wißt ja, wie kokett sie ist – ließ ihren Tränen freien Lauf, so ging
     ihr der Anblick zu Herzen. Aber Don Ynligo sah der Szene kalt, ohne Mitleid zu, mit steifem Rückgrat, den Pferdekopf wie eine
     Reliquie erhoben, und versuchte, die Umarmungen in vorwurfsvollem Ton zu unterbrechen: »Kommt nun, kommt, Prinzessin von Spanien!«
     Aber das sagte er nicht, er wieherte es!«
    »Madame!«
    »Ich schwöre es! Er wieherte! Und dabei strich er sich mit knochiger Hand seine Pferdenase: ›Kommt nun, kommt, Prinzessin
     von Spanien!‹ sagte er. Ja, da staunt Ihr, Söhnchen, wie er sie nannte, nicht wahr? Und wie er uns zu verstehen gab, daß sie
     von jetzt an ihnen gehörte!«
    »Leider, Madame, gehört sie ihnen nun tatsächlich als Gemahlin des Prinzen von Asturien.«
    »Aber es gab keinen Grund, es uns derart unter die Nase zu reiben! Kurz, Don Ynligo brachte es fertig, die Ärmsten voneinander
     zu reißen, und dann mußte Madame seine Karosse besteigen. Ach, der Blick, Söhnchen! Dieser letzte Blick, den sie durchs Wagenfenster
     nach ihrem Bruder warf, als der Wagen anfuhr!«
    »Und Ludwig?«
    »Ludwig weinte, beide Hände vorm Gesicht, taub für alles, |335| was wir ihm sagten. Aber unser Trost erschien uns selber hohl und leer vor solchem Kummer. Zurück in Bordeaux, ließ er sich
     zur Königin fahren.«
    »Zu seiner Mutter!« sagte ich. »Aber sie ist doch der letzte Mensch auf der Welt …«
    Da Madame de Guise die Stirn runzelte, unterbrach ich meinen Satz. »Aber, warum, zum Teufel, war sie nicht auch dabei, um
     von ihrer Tochter letzten Abschied zu nehmen?«
    »Sie hat es erklärt: sie hat gestern abend von ihr Abschied genommen und wollte den Schmerz nicht noch einmal beleben.«
    »Welchen Schmerz?« fragte ich spottend. »Den ihrer Tochter? Oder ihren?«
    »Monsieur«, sagte Madame de Guise, »wenn Ihr damit irgend etwas Unziemliches hinsichtlich der Königin unterstellen wollt,
     kehre ich Euch den Rücken!«
    »Nicht doch, Madame, ich unterstelle gar nichts.«
    »Ein Glück! Im übrigen«, fuhr sie leise fort, »habt Ihr schon recht … Ludwig war zwei Stunden bei ihr, weinte und weinte,
     und abgesehen von ein paar moralischen Verweisen, die ich nicht sehr angebracht fand, gab sie ihm nicht mal einen Kuß.«
    Hier, schöne Leserin, kann ich meine Patin ablösen, denn zu der Zeit, als die herzzerreißenden Abschiede stattfanden, weilte
     ich im Bischofssitz zu Bordeaux – wo Ludwig wohnte –, zusammen mit Monsieur de Souvré, seinem Sohn, dem Ersten Kammerherrn
     Monsieur de Courtenvaux, Monsieur de Thermes, Monsieur de Luynes und Héroard, alle sechs warteten wir schweigend, und Héroard
     sah alle Augenblicke ängstlich auf seine Uhr, weil die Essenszeit längst vorüber war und Ludwig seit dem vorigen Abend nichts
     gegessen und getrunken hatte.
    Um halb elf Uhr erschien er endlich mit roten Augen und tränengezeichnetem Gesicht. Stumm setzte er sich vor seinen Teller,
     aß wenig und sagte zu Héroard: »Ich habe Kopfweh.« Nach der Mahlzeit suchte er sich zu zerstreuen, indem er mit der Feder
     auf Spielkarten kleine Männchen kritzelte. Ich war verwundert, weil er solche Späße, als seines Alters unwürdig, seit langem
     aufgegeben hatte. Einige Tage später jedoch sah ich ihn mit seinen kleinen Soldaten spielen und Fliegen mit einer Klatsche
     fangen. Daraus schloß ich, daß er in seiner |336| Trauer einen Trost suchte, indem er sich in seine Kinderspiele flüchtete.
    Zur selben Zeit schwankte seine Gesundheit, und Héroard war in höchsten Sorgen, weil Ludwig schon beim Aufstehen sagte, er
     habe keinen Hunger und wolle nicht frühstücken. Zu Mittag und Abend aß er, aber sehr wenig. Acht Tage nach Madames Abschied
     klagte er noch immer über Kopfweh, dann über Schmerzen in der Leiste. Laut Héroard, der ihn untersuchte, war die Leiste entzündet.
    Wenig darauf zeigten sich Pusteln an seiner linken Hüfte, die er aufkratzte, so daß Héroard sie

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