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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Begegnung, wenn
     man es recht bedachte, ja der ersten und letzten ihres Lebens, war vom Protokoll berücksichtigt worden, daß die Infantin Anna
     von Österreich nicht mehr Französisch konnte als Madame Spanisch, und um niemanden zu kränken, war es nicht festgelegt worden,
     in welcher Sprache die Unterhaltung ablaufen sollte.
    Nach diesem kleinen, wenig besagenden Zwiegespräch hatten beide Prinzessinnen einander den Rücken zu kehren und sich nach
     dem Land einzuschiffen, wo sie Königin werden sollten, und sowie eine jede den Fuß auf den Boden ihres künftigen Reiches gesetzt
     hätte, wäre die Bidassoa für sie auf immer unüberschreitbar. Die kleine Anna von Österreich ging wie Ludwig in ihr fünfzehntes
     Jahr, Madame war erst dreizehn.
    Hatte bei der Behandlung beider Prinzessinnen strengste Gleichheit geherrscht, war das Verhalten der Eltern hingegen diesen
     selbst überlassen. Maria von Medici hatte beschlossen, daß der König und sie in Bordeaux Abschied nahmen von Madame und daß
     ihre Tochter unter starker Begleitung, aber allein den Rest der Reise bis zur Grenze zurücklegte. Zärtlicher verfuhr Philipp
     III. von Spanien, der, entgegen den Empfehlungen seines Rates, die Tochter unbedingt bis an die Bidassoa begleiten wollte
     und sich mit den rührenden Worten von ihr trennte:
»Mi hija, yo te he casada in Cristianidad lo mejor que he podido. Va que Dios te bendiga!«
1
    Schöne Leserin, bitte, begleiten Sie mich jetzt ein paar Tage zurück. Madame sollte Bordeaux am einundzwanzigsten Oktober
     verlassen. Am Tag vorher besuchte Ludwig sie in ihrem Quartier im Haus des Staatsrates, Monsieur de Beaumont Menardeau. Es
     war sein erster Abschied von ihr, und als er aus |333| ihren Gemächern kam, glänzten seine Augen von Tränen. Einer seiner Offiziere, Monsieur de la Curée – derselbe, der das Frühstück
     der Freßsäcke zu Pferde serviert hatte –, sagte zu ihm: »Sire, ein großer König sollte nicht so empfindsam sein.« Ohne sich
     über die dumme Bemerkung zu ärgern, antwortete Ludwig mit schwerem Seufzen: »Sie ist meine Schwester. Wie soll ich nicht weinen?«
    Bei seinem Lever am nächsten Tag, dem ich beiwohnte, war Ludwig traurig und abwesend. Er lehnte das Frühstück ab, sagte, er
     bringe nichts hinunter, ließ sich wortlos ankleiden, und nach der Messe begab er sich zum Haus von Monsieur de Beaumont Menardeau,
     wo Madame reisefertig gemacht wurde inmitten eines Dutzends Damen, die ihr Mut zuzusprechen versuchten.
    Es waren dort meine liebe Patin, die Herzogin von Guise, die Prinzessin Conti, die junge Herzogin von Guise, Mademoiselle
     de Vendôme und Madame de Montmorency. Als der König erschien, warf sich Madame weinend an seinen Hals, von Schluchzen geschüttelt
     und so verzweifelt, als führte man sie zum Schafott. Das ging bis zum Schreien. Ludwig, der ebenso heiße Tränen weinte, hielt
     sie fest in den Armen und suchte sie zu trösten. Aber er war selbst viel zu erschüttert und stotterte zu sehr, um drei Worte
     auf die Reihe zu bringen.
    Das übrige erzählte mir Madame de Guise, denn von den genannten Damen war sie als einzige dabei. Es war ausgemacht, daß die
     Damen und Ludwig Madame eine halbe Meile außerhalb der Stadt begleiteten, und nach einem letzten Adieu sollte sie von dort
     allein weiterziehen. Allein, das war nur eine Redensart, denn bis zur Grenze stand sie im Schutz der Armee ihres Bruders,
     und mit ihr gingen an dreißig ausgewählte französische Damen nach Spanien.
    »Wir fuhren also los«, erzählte Madame de Guise am Abend lebhaft und geradezu, wie es ihre Art war, aber noch immer stark
     bewegt. »Wir hockten aufeinander in dieser Karosse, vorn der König und Madame, und fünf Damen, ich auch, eng gequetscht auf
     der Hinterbank. Und in unserer Spur fuhr einsam und majestätisch in seiner Karosse der spanische Botschafter! Aber Ihr kennt
     doch Don Ynligo! Findet Ihr nicht, daß er aussieht wie ein Pferd?«
    »Wie ein Pferd, Madame?«
    |334| »Bloß, daß ein Pferd sanftmütige Augen hat und daß der Blick von Don Ynligo hart und dünkelhaft ist. Aber er hat ein langes
     Gesicht, von dem man nur die ellenlange Nase sieht, die er sich beim Reden auf die obszönste Weise streicht. Es ist aber keine
     Nase, es ist ein Pferdemaul.«
    »Madame, Ihr scherzt, finde ich!«
    »I bewahre! Und zum Scherzen war mir auch wirklich nicht zumute, das dürft Ihr glauben! Heilige Jungfrau! Die beiden Kinder
     – es zeriß mir das Herz! Da saßen sie eng

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