Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
mit einem Pflaster abdeckte.
     Und kaum waren diese Rötungen verschwunden, bekam er eine schwere Erkältung mit Fieberschauern, verstopfter Stirnhöhle und
     geschwollener Nase.
    Es war ein stillschweigendes Übereinkommen, daß er auf dieser Reise von allem Unterricht verschont blieb, was ihm sehr gefiel,
     denn er hatte ein Grauen vor dem endlosen Herunterleiern, das der Abbé de Fleurance ihm abverlangte. Ich ließ mir sogar sagen,
     er habe ihm eines Tages eine Art Handel vorgeschlagen: er gäbe dem Abbé ein Bistum, dafür solle der Abbé aufhören, ihn mit
     seinen lateinischen Deklinationen zu malträtieren. Der Vorschlag wurde im Spaß gemacht, der Abbé de Fleurance wies ihn tiefernst
     zurück.
    Bei dieser Lage der Dinge geschah etwas höchst Erstaunliches. Ich habe das Datum in meinen Aufzeichnungen festgehalten, so
     verblüfft war ich. Am vierundzwanzigsten September, drei Tage nach Madames Abreise, ließ Ludwig durch Berlinghen den Abbé
     de Fleurance holen: er wollte lernen. Monsieur de Souvré war nicht zugegen, als Ludwig das sagte, und als ich Souvré davon
     berichtete, traute er seinen Ohren nicht. »Ist das wahr?« fragte er und machte große Augen. »Hat er das wirklich getan? Aus
     eigenem Antrieb?«
    Vierzehn Tage später, am zehnten Oktober, bat Ludwig den Abbé wiederum, ihm Unterricht zu geben. Ich meine, dieser Rückgriff
     auf das Lernen war, ebenso wie der auf seine Kinderspiele, für Ludwig eine Art Flucht, in die ihn sein Gemütszustand trieb.
     Trotzdem war ich sehr zufrieden, denn mir schien es besser, daß er lernte, und seien es lateinische Konjugationen, als Fliegen
     mit der Klatsche zu fangen. Leider war der arme Abbé de Fleurance nicht der Lehrer, der diesen schönen |337| Eifer aufrechterhalten konnte, indem er seinem Schüler ein Wissen beibrachte, das seiner Erwartung entsprochen und für sein
     königliches Amt gebildet hätte. Doch hätte er es vermocht, wäre er flugs zurückgeschickt worden in seine Pfarre.
    * * *
    Zwischen Madames Abschied und der Ankunft der Infantin Anna von Österreich in Bordeaux verfloß ein reichlicher Monat, der
     mich lang und schwerfällig dünkte, weil ich sehr betrübt zusah, wie Ludwig kränkelte und melancholisch war, und weil ich selbst
     öfter, als mir lieb war, in eine große Sehnsucht nach Frau von Lichtenberg verfiel.
    Weil alles, was am Hof zählte, dem König nach Bordeaux gefolgt war, sogar einige ausländische Gesandte, war ich nicht weiter
     überrascht, als ein alter Freund meines Vaters, der ehrwürdige Abbé und Doktor der Medizin Fogacer, Privatsekretär des Kardinals
     Du Perron, mir und dem Chevalier de la Surie eine Einladung zukommen ließ, mit ihm in einem Gasthaus an der Garonne zu speisen,
     wo man uns in einem gesonderten Raum bediente, und zwar vortrefflich.
    Groß, dünn, mit spinnenhaften Gliedmaßen, hoch geschwungenen schwarzen Brauen über den nußbraunen Augen, Adlernase, sinnlichen
     Lippen, gewundenem Lächeln, hätte Fogacer niemals unbemerkt über Berg und Tal ziehen können, und das war schlimm, denn in
     seinen wilden Jahren hatte er wegen seines unvorsichtigen Atheismus und sittlicher Verirrungen mehrmals fliehen müssen und
     wäre einmal sogar auf dem Scheiterhaufen geendet, hätte mein Vater, sein einstiger Kommilitone an der École de Médécine zu
     Montpellier, ihn nicht einige Zeit in seinem Landhaus versteckt.
    Mit zunehmendem Alter wurde Fogacer vorsichtiger. Und weil er ob seiner unaufhörlichen Gefährdungen Schutz suchte, wurde er
     Leibarzt des Kardinals Du Perron, dann sein Sekretär, dann nistete er sich ganz im Schoß der katholischen Kirche ein und wurde
     Priester. Seitdem war die Soutane ihm zur zweiten Haut geworden, und er hörte auf, nicht an Gott zu glauben. Ob er gleichzeitig
     auch der Unzucht entsagte, ist nicht gewiß, aber das dichte Geheimnis, mit dem er seine Gewohnheiten nun umhüllte, brachte
     die Aufregung darüber zum Schweigen, vor |338| allem, seit er, weiß geworden, sich nicht mehr öffentlich mit gelockten kleinen Geistlichen zeigte, deren erste Tugend nicht
     die Frömmigkeit zu sein schien.
    Als ich noch sehr jung war, störte es mich heftig, mit welcher Zudringlichkeit Fogacer mich mit den Augen verschlang, meine
     Knabengestalt pries und mich ›mein Liebling‹ nannte, denn der Ausdruck hatte in seinem Mund einen sehr anderen Klang als in
     dem der Herzogin von Guise. Zum Glück hörten seine Aufmerksamkeiten mit einem Schlag auf, als mir der Bart sproß,

Weitere Kostenlose Bücher