Königskind
konnte.
»Mein Pierre«, sagte sie endlich mit leiser Stimme, »es gibt etwas, um das Sie mich oft gebeten haben und in das ich nie einwilligen
wollte. Wenn Sie aber heute dieselbe Bitte an mich richteten, glaube ich, könnte ich die Gründe meiner bisherigen Ablehnung
beiseite schieben, natürlich nur, wenn Ihr Wunsch danach noch immer so stark ist …«
»Oh, meine Liebste!« rief ich, denn ich ahnte, was sie nicht aussprach, »Sie würden mich überglücklich machen …«
»Nicht, nicht, mein Pierre!« sagte sie mit lebhafter Zärtlichkeit und legte mir die Hand auf den Mund, »sagen Sie nichts!
Wer wollte ein ganzes Wort hören, wo ein halbes genügt?«
»Und trotzdem«, sagte ich lächelnd, »muß ich dieses ganze Wort sogleich dem Marquis de Siorac schreiben und ihm durch Ihren
Laufburschen übersenden. Sonst gerät er in Sorge, wenn ich nicht heimkomme, die Pariser Gassen sind abends nicht sicher.«
Der fünfzehnte August ist das Fest der Jungfrau, und ich stelle mir gerne vor, daß es nicht nur der Mutter Jesu geweiht ist,
sondern den Frauen überhaupt. So weihte ich mich denn Frau von Lichtenberg vom Samstag, dem fünfzehnten August, bis zum Sonntag
mittag und verließ die dämmerige Höhle ihres Betthimmels nur, wenn wir etwas zu uns nahmen. Unseren Umarmungen folgte Geplauder,
und unseren Wonnen folgten Tränen und manchmal auch Lachen. Alles schien uns kostbar, gierig sammelten wir einen Vorrat allen
Glücks, das wir in uns |329| bewahren konnten, denn jedes Wort, jeder Kuß brachte uns der Stunde näher, die unsere Zweisamkeit lösen und unsere Münder
voneinander trennen würde.
Am längsten hingen unsere Augen aneinander. Als ich ihre Schwelle überschritten und Herr von Beck die Tür hinter mir geschlossen
hatte, wußte ich, daß Frau von Lichtenberg in ihrem Hausgewand noch am Fenster zum Hof stand, und als ich aufschaute, erblickte
ich ihre halb hinterm Vorhang verborgene Gestalt – so als tauchten Entfernung und Zeit sie schon in sich verdichtenden Dunst
–, da hielt ich inne, einen Fuß auf dem Tritt der Mietkutsche, und grüßte sie, daß die Federn meines Hutes das Pflaster streiften:
eine nichtige, alltägliche Geste an Stelle all dessen, was ich ihr noch hätte zurufen mögen und wovon ich voll war. Ich stieg
ein, sank auf die Bank und schloß die Vorhänge. Es war höchste Zeit: Tränen strömten mir über die Wangen.
* * *
In Abwesenheit meines Vaters sorgten La Surie und ich nun für die Einquartierung des Königshauses an den Etappen, was uns
die bekannten Vorteile wie auch jene Beschuldigungen eintrug, die man sich denken kann, denn kein königlicher Amtsträger war
mit seiner Unterkunft zufrieden. Auf La Suries klugen Rat hin nahm ich darum für uns beide die jeweils mäßigste und am weitesten
vom König entfernte, so daß ich auf die Beschwerden antworten konnte: »Monsieur, wenn Euch Euer Quartier nicht gefällt, wollt
Ihr vielleicht meines?« Es waren nur drei oder vier, die das Angebot unbesehen akzeptierten und bei seinem Anblick lieber
Abstand nahmen, doch schafften diese mir den Ruf der Gerechtigkeit und Bescheidenheit. Daher konnten wir an der elften Etappe
schließlich von dem System abweichen und in Poitiers, das wir am einunddreißigsten August erreichten, uns selbst behaglich
unterbringen, ohne verdächtigt zu werden, wir hätten unseren Dienst ausgenutzt, um uns den Löwenanteil zu sichern.
Wir hatten eine gute Nase gehabt, denn wir wohnten lange an dem Ort: die arme kleine Madame
,
die bei der Abreise von Paris schon eine sehr klägliche Miene gemacht hatte bei dem Gedanken, nun auf alle Zeiten fern von
ihrem geliebten Bruder in die goldenen Paläste des spanischen Königs verbannt zu |330| werden, erkrankte an den Blattern. Und fast gleichzeitig litt die Königinmutter an einer Gürtelrose. Madame erholte sich,
ohne daß in ihrem hübschen Gesicht Narben zurückblieben, und dank einem jüdischen Arzt ließen auch die Leiden ihrer Mutter
allmählich nach, doch nahmen diese Kuren fast den ganzen September in Anspruch, so daß der Hof Poitiers nicht verlassen konnte.
Während die Königin von ihrem Jucken geplagt wurde, machte sich die Concini ihren Zustand zunutze, und nicht ohne Erfolg,
um mit ihr wieder den alltäglichen, einschmeichelnden Umgang aufzunehmen, der soviel zu ihrer außerordentlichen Gunst beigetragen
hatte. Condé und die Großen, die unter Waffen standen, benahmen sich so bedrohlich, daß der
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