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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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König sie im Rat des Majestätsverbrechens
     für schuldig und somit ihrer Güter und Ehren verlustig erklärte. Leider hatte aber das mächtige königliche Heer von der Königin
     den kleinmütigen Befehl erhalten, den Kampf nicht zu eröffnen, so daß die Großen innerhalb dieses Monats nun die Seine überschreiten
     konnten, dann die Marne und schließlich die Loire und drohten, sich mit den Hugenotten im Westen zu verbünden, unter denen
     einige sich ebenfalls bewaffnet hatten. Weil aber die Großen trotzdem halb so zahlreich und schlechter gerüstet waren als
     die Königlichen, hüteten sie sich, diese anzugreifen, und so wurde es eine komische Art von Krieg, in dem beide Armeen nebeneinander
     herzogen, ohne daß je ein Schuß fiel.
    Die Zeit wurde mir lang in Poitiers. Ich schrieb immer untröstlichere Briefe an Frau von Lichtenberg und sah voll Sorge, wie
     schweigsam und unfroh Ludwig war, wie oft er klagte, das Herz tue ihm weh, er habe Magenkrämpfe und Schwächeanfälle.
    Am achtundzwanzigsten September setzte sich der Hof endlich nach Bordeaux in Bewegung. Es traf sich, daß Ludwig am Tag zuvor
     vierzehn Jahre alt geworden war. Héroard hatte seine Maße genommen, doch ob er sie der Königinmutter mitteilte, weiß ich nicht:
     er machte daraus geradezu ein Geheimnis, denn er verzeichnete sie nicht einmal in seinem Tagebuch, in das er doch täglich
     alles Ludwig Betreffende eintrug, einschließlich der Konsistenz seiner ›Geschäfte‹ und der Farbe seines Urins.
    Ich jedenfalls, der ich kein Mediziner bin, fand am Wuchs und an den Proportionen des Königs nichts auszusetzen. Als |331| begeisterter Jäger wie sein Vater war er sehr widerstandsfähig gegen Müdigkeit und Wetterunbilden, tapfer in Gefahren, geschmeidig
     und lebhaft in seinen Bewegungen, äußerst geschickt mit den Händen, anmutig beim Tanz und saß sicher und in eleganter Haltung
     im Sattel. Der achtundzwanzigste September war also der erste Tag seines fünfzehnten Lebensjahres, und nach meinem Verständnis
     mußte er finden, daß es sehr schlecht für ihn begann, denn in wenigen Tagen würde er seine Schwester verlieren und eine Gemahlin
     bekommen, ohne daß die zweite für ihn den Verlust der ersten aufwiegen konnte.
    Wir benötigten mehr als eine Woche, Bordeaux zu erreichen. Am siebenten Oktober entsandten das Parlament und die Notabeln
     dieser schönen Stadt ein bedecktes Schiff nach Bourg, um die Königinmutter, Ludwig, Madame und die beiden kleinen Prinzessinnen
     aufzunehmen. Ich war nicht dabei; aber Héroard, der Ludwig auf Weg und Steg zu folgen hatte, vertraute mir später an, die
     Schiffsreise auf der Garonne – die sehr schön und sehr breit ist – habe Ludwig einigermaßen von dem großen Leid abgelenkt,
     das ihn Tag und Nacht quälte, weil er sich von Madame trennen sollte. Laut Héroard ließ er sich an Bord um vier Uhr ein Souper
     neben dem Steuer auftragen, indem er eigenhändig eine Serviette als Tischtuch über einen Schemel breitete. Und er aß, das
     Auge auf dem Steuermann und den leisen Bewegungen, die dieser dem freiliegenden Ruder beibrachte. Wahrscheinlich wiegte sich
     Ludwig in dem Gefühl, er sei der Kapitän.
    Bestimmt wäre ihm dies leichter gefallen, als derzeit sein eigenes Geschick zu lenken. Er war König von Frankreich, großjährig
     seit einem Jahr und bald verheiratet, aber er hatte weder seine Gemahlin erwählt noch den Gemahl von Madame, noch seine Bündnisse,
     und völlig ohne ihn, nur von der Königinmutter und dem spanischen König, wurde das Protokoll beider Hochzeiten festgelegt.
    Sie sollten gleichzeitig in Frankreich und in Spanien per Stellvertretung statthaben. Ludwig sandte dem Herzog von Lerma die
     Erlaubnis, in seinem Namen die Infantin Anna von Österreich in Burgos zu ehelichen, und der Prinz von Asturien bevollmächtigte
     den Herzog von Épernon, sich in seinem Namen zu Bordeaux mit Madame zu vermählen.
    Der Austausch der Prinzessinnen war bis in jede Einzelheit |332| mit größter Sorge um die Gleichstellung beider Nationen vorbereitet worden. Auf einer Insel inmitten der Bidassoa, dem Grenzfluß
     zwischen Frankreich und Spanien, waren Zwillingspavillons errichtet worden. Beide Prinzessinnen hatten zur selben Minute das
     Ufer ihres Heimatlandes zu verlassen und auf einem Kahn zu den Pavillons auf der Insel überzusetzen. Dort sollten die beiden
     Schwägerinnen zusammentreffen, sich kennenlernen und eine Viertelstunde plaudern. Hinsichtlich dieser kurzen

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